: „Wir werden wieder demonstrieren“
DDR-Bürgerrechtler protestieren gegen Mauschelei um den Staatsvertrag / Enteignungspläne abgelehnt Mißachtung der Rechte der Volkskammer angeprangert / Fusion von Bundesbank mit DDR-Bank? ■ Aus Ost-Berlin Walter Süß
Heftige Kritik haben gestern die im Bündnis 90 zusammengeschlossenen DDR-Bürgerrechtsorganisationen an der Art der Vorbereitung des „Staatsvertrages“ sowie an zentralen inhaltlichen Aussagen des offiziell noch immer nicht vorliegenden Entwurfs geübt. Auf einer Pressekonferenz, an der unter anderem der Vizepräsident der Volkskammer, Wolfgang Ullmann, und die Fraktionssprecherin von Bündnis 90, Marianne Birthler, teilnahmen, stellten die Abgeordneten fest, daß das Parlament faktisch aus der Entscheidung über diese existentielle Frage ausgeschlossen ist.
In keinem Volkskammerausschuß ist der Entwurf diskutiert worden, Termine für Ausschußsitzungen, die in dieser Woche stattfinden sollten, wurden abgesagt. In keinem Stadium der Verhandlungen wurden den Abgeordneten die nötigen Informationen zur Verfügung gestellt. Selbst der Vizepräsident der Volkskammer ist auf gelegentliche Presseveröffentlichungen angewiesen.
Hatten die Regierungsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung noch eine Einbeziehung des Parlaments in den Einigungsprozeß gefordert, so blockieren Regierung und Ministerialbürokratie jetzt jeden Versuch der Abgeordneten, ihrer Pflicht nachzukommen: die Interessen ihrer WählerInnen in den Entscheidungsprozeß einzubringen. Das Ganze, sagte Frau Birthler, „erinnert auf fatale Weise an die Praxis vergangen geglaubter Zeiten im Parlament: Den Abgeordneten werden abstimmungsreife Papiere präsentiert, an deren Zustandekommen sie nicht beteiligt sind.“
Ullmann zog eine Parallele zu der Strategie, die im Sommer 1948 eingeschlagen worden war: Zuerst würden mit einer Währungsreform neue Machtverhältnisse geschaffen, und dann wenn das Wesentliche bereits entschieden ist - werden „auch die Parlamente ausführlich debattieren dürfen“.
Die inhaltliche Kritik der BürgerrechtlerInnen konzentrierte sich vor allem auf die Eigentumsfrage. Wenn Grund und Boden frei veräußerbar werden, dann werden die DDR -Bürger auch bei einem Vorkaufsrecht den kürzeren ziehen. Ebenso gravierend ist die Frage des Volkseigentums an den Betrieben. Die Schulden der Volkseigenen Betriebe, die in dem alten System eine rein buchhalterische Angelegenheit im Rahmen des Staatshaushaltes waren, sollen 1:2 umgewertet und damit in Devisenschulden verwandelt werden. Die Schuldscheine sind von der Staatsbank an die Kreditbank AG übertragen worden.
Eine Fusion dieser DDR-Bank mit der Deutschen Bundesbank werde derzeit „angedacht“. Sie bekäme damit, erklärte Günter Nooke, Mitglied des Wirtschaftsausschusses der Volkskammer, 135 Milliarden Mark einfach geschenkt. Die DDR-Betriebe aber sind plötzlich „bei einer bundesdeutschen Bank verschuldet, mit der sie nie Geschäftsbeziehungen hatten“. Kommen sie was absehbar ist - in Liquiditätsschwierigkeiten, machen gar Bankrott, so werden sie zum Eigentum der Gläubigerbanken.
Vielen WählerInnen seien diese Folgen noch nicht bewußt. Doch wenn der einzelne begreift, „was ihm verlorengeht“, meint Schulz, dann kann es zu einer neuen Mobilisierung kommen: „Wir werden wieder auf die Straße gehen.“
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