: „Wir werden mit Pilotprojekten anfangen“
■ Michael Steiner hat als deutscher Vertreter an dem Dayton-Abkommen mitgewirkt
taz: Die Rückkehr der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina ist in Deutschland zu einem beherrschenden Thema geworden. Was ist Ihr Rat an die Politiker?
Michael Steiner: Auch wir hier in Sarajevo wollen, daß die Flüchtlinge so schnell wie möglich zurückkehren können. Aber es sind einige Grundbedingungen dafür zu beachten. Erstens müssen die Menschen Vertrauen haben, in ein sicheres Umfeld zurückzukehren. Zweitens muß eine Aufnahmekapazität bestehen, man kann ja die Leute nicht einfach irgendwo in den Schnee stecken. Die Frage der Sicherheit erfordert den schnellstmöglichen Aufbau einer internationalen Polizeitruppe, denn die Ifor-Soldaten kümmern sich nicht um die Probleme der Flüchtlinge. Und die Frage der Aufnahmekapizität erfordert ein umfassendes Wiederaufbauprogramm. Wer also für die schnelle Rückkehr der Flüchtlinge eintritt, sollte sich auch für beide Programme einsetzen.
Sie zögern also, sofort Flüchtlinge zurückzuführen?
Nein, das auch nicht. Wir müssen den Prozeß einfach in Gang setzten. Wir dürfen uns nicht von den sich auftürmenden Problemen erschlagen lassen. Wir werden mit Pilotprojekten anfangen. Im Raum Sarajevo versuchen wir dies schon. Hier werden ja nach dem 45. Tag des Inkrafttretens des Friedensabkommens die zur Zeit noch serbisch verwalteten Gebiete in die bosniakisch-kroatische Föderation überführt. In einem intensiven Verhandlungsprozeß ist es uns gelungen, die anfängliche starre Haltung der serbischen Seite, das Gebiet zu verlassen, aufzuweichen. Wir wollen, daß die serbische Bevölkerung bleibt.
Solange die ethnisch definierten Entitäten, wie die „Republika Srpska“ und „Herceg-Bosna“ bestehen, werden gegenüber der Rückkehr von Flüchtlingen Hürden aufgebaut. Die wollen doch die Vertriebenen gar nicht zurück.
Sie beschreiben nur negative Faktoren. Es gibt aber auch postive. Erstens ist der Krieg beendet worden. Zweitens werden durch die neue Bewegungsfreiheit allmählich starre Fronten aufgebrochen.
Das bleibt doch vage. Erst wenn die Machtstrukturen der Nationalisten gebrochen werden, könnten die Flüchtlinge zurück.
Von heute auf morgen kann jedoch die jetzige Lage nicht verändert werden. Spätestens bei den Wahlen werden Sie bemerken, daß ein Demokratisierungsprozeß eingesetzt hat. Schon heute fragen sich Politiker, die aus dem Karadžić-Regime kommen, wie sie die Wahlen gewinnen können. Das Problem der Flüchtlinge kann in der Tat letztlich nur im Rahmen eines Prozesses hin zur Demokratisierung gelöst werden.
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