: „Wir sind bereit zu sterben“
■ 85 hungerstreikende türkische Gefangene verweigern weiterhin die Nahrung / Krankenhaus von Aydin abgeriegelt / Delegation der Grünen in Ankara und Aydin
Istanbul (taz) - „Ich kann es kaum in Worte fassen - es wird zum Massensterben kommen.“ Sichtlich erschüttert war der türkische Sozialdemokrat Sedat Dogan am Donnerstag abend vor die Presse getreten, um von seinem Besuch bei den hungerstreikenden Gefangenen im Krankenhaus von Aydin zu berichten. „Viele von den Häftlingen sind gelähmt. Sie können kaum sprechen. Etliche haben innere Blutungen erlitten. Ihr Zustand ist äußerst kritisch.“
Am 51. Tag des Hungerstreiks der politischen Gefangenen in der Türkei nahmen 85 Häftlinge weiterhin keine Nahrung zu sich. 13 von ihnen liegen im Krankenhaus. Unklar ist bisher, wieviele von ihnen sich bereits im Koma befinden. Alle anderen Hungerstreikenden wurden aus dem Krankenhaus ins Gefängnis zurücktransportiert. Nach Dogans Angaben ist trotz derjenigen, die ihren Hungerstreik abgebrochen haben - es sollen weit über hundert sein - der Wille der Hungerstreikenden im Krankenhaus ungebrochen. Ein Gefangener habe zu ihm gesagt: „Mit den anderen wollen wir nichts zu tun haben. Wir sind bereit zu sterben.“
Das Krankenhausgelände ist weiterhin hermetisch abgeriegelt. Der Gouverneur von Aydin, Recep Yazacioglu, dazu: „Der Ausnah Fortsetzung auf Seite 2
mezustand im Krankenhaus garantiert die Sicherheit der Gefangenen.“ Dieses Sicherheitsbedürfnis bekam auch die Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen zu spüren. Jutta Oesterle-Schwerin und vier weitere Mitarbeiter waren am Dienstag nach Ankara gereist, um von Justizminister Sungurlu die Erlaubnis einzuholen, mit Hungerstreikenden in Aydin zu sprechen.
Nachdem am Mittwoch kein Gesprächstermin zustandegekommen war, fuhr die Gruppe am Donnerstag per Bus nach Aydin. Auch dort scheiterte ihr Versuch, vom zuständigen Staatsanwalt eine Besuchserlaubnis zu bekommen. Daraufhin hielt sich die deutsche Delegation gestern einige Stunden vor den Gefängnistoren auf und sprach mit den Angehörigen.
Unterdessen werden die Gefangenen, die ihren Hungerstreik abgebrochen haben, von der Justizverwaltung geradezu verhätschelt: Plötzlich sind Besuche von Angehörigen im Gefängnis möglich.
Der militante Widerstand gegen Sungurlus Konfrontationskurs wächst. „Dev Sol“ (Revolutionäre Linke), eine der Organisationen der politischen Gefangenen, hat sich zu vier Bombenanschlägen in Istanbul in der Nacht zum Donnerstag bekannt. Bei einem Bombenanschlag auf das Haus eines Gefängniswärters am Mittwoch in Aydin war ein siebenjähriges Mädchen umgekommen.
Inzwischen sind in der Bundesrepublik Solidaritätsaktionen angelaufen. In der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Bonn hat eine elfköpfige Gruppe von Künstlern und Gewerkschaftern aus der Türkei ein zweitägiges Solidaritätsfasten begonnen. In Hamburg haben mehrere kurdische und türkische Gruppen eine Postkarten-Aktion gestartet.
Herkmen/Schimmelpfennig/hera
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