piwik no script img

„Wir müssen unser Haus in Ordnung bringen“

■ Haider Abdel-Schafi, PLO-Verhandlungsführer vor dem Zustandekommen des Gaza-Jericho-Abkommens mit Israel, über die Autonomiefrage und Arafats Führungsstil

taz: Herr Abdel-Schafi, nach der Unterzeichnung des Gaza-Jericho Abkommens am 13. September haben Sie sich aus den Verhandlungen zwischen PLO und Israel zurückgezogen. Warum?

Haider Abdel-Schafi: Frieden ist nur unter fairen und gerechten Bedingungen zu erreichen. Das Gaza-Jericho-Abkommen aber läßt das Problem der israelischen Siedlungen ungelöst. Es spricht einerseits von einer Autonomie der besetzten Gebiete, anderseits behalten sich die Israelis die Hoheit für die Siedlungen vor. Deshalb ist es ein schlechtes Abkommen. Israel hat den Gaza-Streifen und die Westbank im Juni 1967 besetzt und angefangen, dort zu siedeln. Im selben Jahr wurde vom UNO-Sicherheitsrat die Resolution 242 verabschiedet. Sie beinhaltet das Besatzungsverbot und die Aufforderung zum sofortigen Rückzug. Diese Resolution hätte sofort umgesetzt werden müssen, aber nichts ist geschehen. Von Anfang an haben die Israelis sich wie eine Besatzungsmacht verhalten. Immer wieder wurde Israel vom Sicherheitsrat verurteilt – ohne Ergebnis. Mit dem jetzigen Abkommen ist eine wirkliche Autonomie der Palästinenser in diesen Gebieten von Anfang an ausgeschlossen.

In dem Gaza-Jericho-Abkommen anerkennen die Israelis die Palästinenser zum ersten Mal in ihren „legalen und politischen Rechten“ an. Ist das kein Gewinn?

Das ist immer das Argument. Die Israelis sagen, daß Jerusalem im nächsten Verhandlungspaket enthalten sein soll. Aber das heißt überhaupt nichts, würden sie sonst dort bauen? Oder was heißt es, wenn in dem Abkommen steht, daß die Israelis ihre Truppen zurückziehen? Jetzt sprechen sie nur noch von „Umgruppierung“. Ist das ein Gewinn? Ich glaube nicht, daß es jemals zu einem palästinensischen Staat kommen wird.

Warum hat Arafat Sie bei den Verhandlungen zu dem Abkommen nicht konsultiert?

Vielleicht hatte er Angst vor meiner Verhandlungsführung, vor meinen Mindestforderungen.

Wie wird es weitergehen?

Das Abkommen ist eine Tatsache. Allerdings weiß ich nicht, wie die Probleme gelöst werden können, und es ist auch egal. Solange die Frage der Siedler nicht gelöst ist, sind alle anderen Fragen von sekundärer Bedeutung.

Wenn Sie das Abkommen derart negativ sehen, wie kommt es dann, daß Sie in einem Brief an Arafat vor zwei Wochen geschrieben haben, daß Sie das Abkommen unterstützen und „standfest und geduldig“ an seiner Verbesserung mitarbeiten wollen?

Wir sind mit dem Abkommen konfrontiert, also wir müssen damit umgehen. Es ist nicht meine Art, wichtige Entscheidungen zu boykottieren, aber ich erlaube mir, hart zu kritisieren. In dem Brief an Arafat betone ich, daß wir unsere eigene Partei, die PLO, demokratisieren müssen. Wir müssen das palästinensische Haus in Ordnung bringen. Nur dann haben wir eine Chance, ein stärkerer Verhandlungspartner zu werden. Diese Position vertrete ich schon seit langem. Als klar wurde, daß wir mit den Verhandlungen in Madrid und Washington nicht weiterkamen, habe ich gesagt, daß wir uns auf unsere eigenen Fähigkeiten besinnen, unsere Kräfte bündeln müssen. Das Problem ist, daß wir heute das Abkommen haben, bislang aber unser Haus noch nicht in Ordnung gebracht haben.

Und was sagt Arafat zu Ihrer Position?

Er hört nicht zu.

Die PLO hat keine Erfahrung mit Demokratie. Woran soll sie sich da orientieren?

Der Mangel an Demokratie ist das größte Problem in der gesamten arabischen Welt. Ich sagte Arafat, daß er die Art der Entscheidungsfindung durchbrechen müsse; das Exekutivkomitee der PLO ist bislang niemandem verantwortlich. Die Führungsriege sollte künftig alle Fraktionen innerhalb der PLO bei den wichtigen Entscheidungen einbeziehen. Mit der Demokratisierung der PLO sollten wir anläßlich der ersten direkten, freien und allgemeinen Wahlen beginnen, die nach der Vereinbarung in rund zehn Monaten stattfinden müssen.

Stellt die radikale Organisation Hamas für die PLO und die Demokratie ein Problem dar?

Hamas ist nicht gegen Demokratie, sie hat aber ihre eigenen Vorstellungen, wie die Probleme gelöst werden sollten. Derzeit spielt die israelische Regierung mit ihrem Vorgehen in den besetzten Gebieten der Ideologie der Hamas in die Hände, und vielleicht hat Israel daran auch Interesse. Ich fürchte die Hamas nicht. Aber auch solche Bewegungen können wir nur auf demokratischem Wege in den Griff bekommen.

Das Exekutivkomitee der PLO hat Ende letzter Woche Arafats Kompetenzen eingeschränkt. Wie bewerten Sie das?

Arafat hat offensichtlich mit seiner Alleinherrschaft in der PLO Widerstand hervorgerufen. Er hat gemerkt, daß er die Art und Weise, wie er die PLO führt, ändern muß.

Nach Informationen hochrangiger PLO-Vertreter in Tunis hat Arafat einer Verschiebung des Abzugs des israelischen Militärs aus den besetzten Gebieten um weitere zwei Wochen zugestimmt – obwohl er zuvor gegenüber Rabin darauf bestanden hatte, daß der 13. Dezember „heilig“ sei. Woher der plötzliche Sinneswandel?

Das müssen Sie ihn fragen.

Wird diese Verschiebung die Stimmung beeinträchtigen? Wird die Gewalt abermals zunehmen?

Nicht unbedingt. Sicher dürfte sie bestehende Zweifel an dem Abkommen verstärken. Und die Palästinenser werden von der Verschiebung schwer enttäuscht sein. Die Gewalt muß deshalb nicht unbedingt zunehmen. Die Zwischenfälle der vergangenen Zeit waren allein von Israel provoziert. Wenn sie sowieso abziehen wollen, wieso machen sie dann noch Jagd auf gesuchte Leute? Wieso gehen sie auf Konfrontation zu jugendlichen Demonstranten? Dennoch gibt es Anzeichen dafür, daß die Soldaten nicht länger mit harter Hand durchgreifen werden. Heute hat es zum Beispiel ein Treffen zwischen dem israelischen Militär und Fatah-Führern im Gaza-Streifen gegeben. Ich glaube nicht, daß die Verschiebung des Truppenabzugs zu weiteren Eskalationen führen wird. Interview: Julia Albrecht

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen