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Wir haben die Kontrolle verloren

Das neue Ambient-Album von Tobias Freund verbreitet Düsternis. Die beiliegenden Texte handeln von Paranoia und Verlustangst

Von Andreas Hartmann

Schaben, Knirschen, Rauschen, das sind die Grundelemente, auf denen Tobias Freund, der sich für sein neues Projekt nur noch Tobias nennt, seine neue Platte aufbaut. Die Pandemie gebärt im Bereich der elektronischen Musik Ambient-Platten ohne Ende, heißt es immer wieder. Denn was will man derzeit auch mit den grandiosesten Club-Tracks anfangen, wenn sowieso niemand zu ihnen tanzen kann. Tobias ist also Corona-Trendsetter, geht in seinem Bestreben, sich vom Dancefloor komplett abzuwenden, aber besonders weit. Auf Geräusche und Klangwolken reduziert er die Musik auf seinem aktuellen Album mit dem Titel „Hall Ov Fame“. Der Clubbetrieb wird nicht nur auf den Pausenmodus gestellt, er wird förmlich für tot erklärt.

„Urgestein“ nennt man gern mal jemanden, aber der Berliner Tobias Freund ist tatsächlich eines der deutschen Technoszene. Seit Ende der Achtziger produziert er unter unterschiedlichen Pseudonymen alle nur erdenklichen Formen elektronischer Tanzmusik, von Acid bis zu Geradeaus-Techno. Pink Elln wurde dabei wohl sein bekanntestes Alias, populär wurde auch sein Duo „Sieg über die Sonne“ zusammen mit Dandy Jack.

Nun aber scheint er die Fenster in seinem Studio mit Brettern vernagelt zu haben, damit wirklich gar kein Sonnenstrahl mehr hineinfindet. Und durchgelüftet wird auch nicht mehr: Um besser seine klaustrophobischen, apokalyptischen Soundscapes produzieren zu können, die sich auch vor dem klassischen Industrial verneigen. Die Schreibweise des Plattentitels könnte man auch als eine kleine Verneigung vor der einstigen Industrial-Vereinigung „Thee Temple ov Psychick Youth“ auffassen.

Zumal Tobias auch deren ewige Beschwörung der Düsterheit und des Leidens an der Welt aufgreift. So werden die einzelnen Tracks der Platte extra noch in Liner Notes kommentiert. In diesen, die wie gedichtartige und etwas kryptische Vignetten daherkommen, ist die Rede von einem Nebel, der sich über die Stadt legt. Dann zieht da ein Boot langsam durch die dicke Luft. Und an einer Stelle ist gar die Rede von einer (radioaktiven?) Strahlung, die sich ausbreitet und von der gerade niemand weiß, was sie noch ausrichten wird.

Verlustangst, Paranoia, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit: Die Menschheit, wie wir sie einmal kannten, ist gerade dabei, sich aufzulösen. All das, was man aus der instrumentalen, komplett beatfreien Musik heraushört, die sich gespenstisch ausbreitet, wird durch das geschriebene Wort noch einmal verstärkt.

Auf dem Plattencover schließlich blickt ein bebrillter Anzugträger förmlich ins Nichts, wie das Sinnbild eines Entscheidungsträgers, der eben registriert hat, das er die Kontrolle über alles verloren hat. Die Aufnahme von ihm ist extrem unscharf, als würde auch er demnächst einfach verschwinden.

Gerade mag sich der Pandemienebel etwas lichten. Alle reden von der Endemie, die endlich eintreten könnte. Dann, wenn endlich die Sonne doch wieder scheint. Wer dagegen „Hall Ov Fame“ hört, kann nicht anders, als sich zu denken: Wir stecken immer noch tief drin in dem ganzen Schlamassel und so schnell wird der auch nicht enden. Falls er überhaupt jemals ein Ende finden wird.

Tobias: „Hall Ov Fame“ (Concentric Records)

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