Gelesenes und Erlesenes: Wir empfehlen
■ Franz Walter
Eingefleischten Linken sollte man das Buch von Hans-Peter Schwarz eher nicht unter den Weihnachtsbaum legen. Das könnte sonst die Freundschaft kosten. Denn Schwarz steht politisch unzweifelhaft auf der anderen Seite der Barrikade. Er selbst würde sich wohl dem Lager der radikalkonservativen Reformer zuordnen. Seine Heldin jedenfalls ist die weiße Revolutionärin Maggie Thatcher. Auch deren zeitgenössisches amerikanisches Pendant Ronald Reagan schätzt er, natürlich Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und Winston S. Churchill.
Mit dem Innenpolitiker Helmut Kohl dagegen hat Schwarz nichts im Sinn. Der hat ihm die Entwohlfahrtsstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland nicht kühn genug vorangetrieben. In der Tat also: starker Tobak für jeden gestandenen Linken.
Ich aber lese sie gern, die Bücher dieses Bonner Ordinarius für Politische Wissenschaften. Prächtig schon dessen Adenauer-Biographie, großartig seine beiden Bände über die Geschichte der Bundesrepublik in den Fünfzigern. Nun also: „Gesicht des 20. Jahrhunderts“. Ein wenig überladen ist das neue, dicke Buch schon. Es werden etwas zu viele Lichtgestalten, Fieslinge und vor allem Mediokritäten unter den politischen Lenkern des 20. Jahrhunderts abgehandelt. Man kann das Buch nicht Seite um Seite verschlingen. Man sollte darin schmökern, zwischenzeitlich weiterblättern, sich hier und da festlesen. Aber alles ist sehr gebildet, sehr scharfsinnig und vor allem: sehr lesbar. Schwarz formuliert in knappen, pointierten Sätzen und versorgt seine Leser ohne Unterlaß mit munteren Interpretationen und ironischen Kommentaren.
Doch ist der Mann nirgendwo eifernd. Erst recht hat er nichts von der ziemlich ungenießbaren Sorte kryptisch raunender Konservativer. Es geht jederzeit beherzt (aber auch gegenüber Sozialdemokraten bemerkenswert fair) zur Sache. Das ist höchst vergnüglich zu lesen. Man kann sich gewiß auch über viele Belehrungen des Autors ärgern. Doch man wird sich nur selten langweilen. Ein schönes Buch also. Und das aus der Feder eines Politologen. So etwas gibt es auch nicht häufig, in Deutschland. Franz Walter
Hans-Peter Schwarz: „Das Gesicht des Jahrhunderts“. Siedler Verlag, Bln. 1998, 650 S., 59,90 DM
Franz Walter ist Politologe an der Uni Göttingen.Foto: Kathi Straube
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen