: Wir brauchen Menschen, die anders sind Ein Interview zur Situation geistig Behinderter Erwachsener und zur Sterilisationspraxis der Justiz mit dem Geschäftsführer eines Behindertenverbandes in Berlin, Georg Röring
„Wir brauchen Menschen, die 'anders‘ sind“
Ein Interview zur Situation geistig Behinderter Erwachsener und zur „Sterilisationspraxis“ der Justiz
mit dem Geschäftsführer eines Behindertenverbandes in
Berlin, Georg Röring
Weil sie geistig behindert ist, darf Hannelore K. ihr neugeborenes Kind nicht großziehen (siehe taz von gestern). Die taz sprach mit dem Geschäftsführer eines Behindertenverbandes, der in den siebziger Jahren in Berlin als Elternselbsthilfe entstand und sich als Lobby für die ca. 6.000 geistig Behinderte versteht.
taz: Es ist geistig behinderten Erwachsenen zwar erlaubt, zu heiraten, - wenn sie Kinder haben wollen, gibt es Probleme. Gibt es in Berlin überhaupt die Möglichkeit, daß diese Menschen ihre Kinder großziehen könne, zum Beispiel in speziellen Einrichtungen?
Georg Röring: Bisher nicht, ausdrücklich nicht. Bei einigen staatsanwaltlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit Sterilisationsmaßnahmen ist gerade von ärztlicher Seite sehr leichtfertig mit Sterilisationen bei minderjährigen, geistig behinderten Frauen umgegangen worden, obwohl die Rechtslage da eindeutig ist.
Wie sieht die aus?
Sterilisationen dürfen zum Beispiel nicht prophylaktisch vorgenommen werden. Aber die Rechtsprechung ist da sehr unterschiedlich. Es wird auch oft dem Vorschlag des Amtsvormundes gefolgt, und nicht dem des behinderten Menschen. Mir liegt hier zum Beispiel ein Urteil des Amtsgerichtes Gießen vor, das ausdrücklich Bezug nimmt auf das Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933. Das zeigt, in welcher Tradition die Rechtsprechung hier heute noch steht. Auch wenn de jure dem Einzelnen zugestanden wird, ein Kind zu bekommen, wird das gesellschaftlich gar nicht gewünscht. Faktisch gibt es - und damit sind wir beim Problem - keine Hilfe für diese Menschen, die es ihnen möglich macht, Kinder großzuziehen. Ich persönlich meine, das unsere Gesellschaft Menschen braucht, die „anders“ sind.
Werden denn heute immer noch so viele Menschen sterilisiert wie in den fünfziger und sechziger Jahren?
Damals fand das auch noch die Zustimmung der Behindertenverbände, aber das hat heute nachgelassen. Im Moment traut sich kaum ein Mediziner, zu sterilisieren. Diese Debatte hat natürlich auch den Gesetzgeber auf den Plan gerufen, der an einer Novellierung des Vormundschaftsgesetzes bastelt. Darin ist bei bestimmten Verbesserungen auch noch die Möglichkeit enthalten, geistig Behinderte ohne ihre Einwilligung zu sterilisieren.
Wie kann denn jetzt dem Ehepaar K. konkret geholfen werden?
Der Verein „Zukunftssicherung“ könnte da praktische oder sonstige Hilfe leisten, wir bieten uns da an. Ich gehe davon aus, und das wurde mir von der Klinik bestätigt, daß diese Frau, die so behindert gemacht wird, sehr wohl lern- und entwicklungsfähig ist. Das hat sie während ihres Aufenthaltes bewiesen. Diese Schiene gilt es zu unterstützen, nicht die, die das Jugendamt eingeschlagen hat.Interview: C.C. Malzahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen