ürdrüs wahre kolumne: Wir Weltmeister, wir!
Die bedenkenlosen Krachmacher von der Vision Parade haben es sich nicht nehmen lassen, ostertorsche Blagen, liebenswerte Mozartstraßen-Rentner, türkische Gemüsehändler, alleinerziehende Mütter und scheue Hauskatzen samt Herrchen durch ihren drumbassigen Umzug in Angst, Zorn und Entsetzen zu versetzen. Darf ein verderbtes Volk, das sowas nur wegen Fun & Money zulässt, auch noch Fußball-Weltmeister werden lassen? Das sind Fragen, die nach Antwort schreien - lange warten müssen wir darauf jedenfalls nicht!
Andererseits kann man es mit der Leisetreterei und der Besorgnis um den Nachwuchs auch übertreiben. Wie das Beispiel des Bremer Ehepaares Inge und Klaus S. lehrt, dass sich dieser Tage im Weserkurier per Leserbrief zu Wort meldet und die Betreiber des Serengetiparks Hodenhagen „wegen der psychischen Belastung der Kinder“ auffordert, sofort die Vorführungen eines französischen Artisten einzustellen. Dieser Herr hopst dort nach entsprechender Vorbereitung täglich mehrmals als brennende Fackel von einem Turm, ohne dass er die Maltes, Björns, Franziskas und Kirstens im Publikum auffordert, dieses nachzuahmen. Er übt diesen Beruf dank seines souveränen Könnens nach wie vor unbeschadet aus: vermutlich haben Inge und Klaus die stille Angst, dass ihre Sprößlinge sich selbst zu Pisa- Zeiten weigern könnten, weiterhin den Weg zum Zentralabitur anzustreben: „Dann werd‘ ich eben Stuntman!“ Es lebe die Freiheit der Kunst ...
Ausgerechnet Bürgerschaftspräsident Christian Weber machte sich anheischig, die streikenden Bauarbeiter anzupissen und die Gewerkschaften aufzufordern, den Arbeitskampf für den Bereich Marktplatz auszusetzen. Jawoll, so punktet man im Schütting - aber der Herr Weber müsste wissen, dass die hanseatischen Original-Pfeffersäcke auch dann nicht die So-zi-aal- demo-kratn wählen, wenn die sich mit der willfährigen Laberzunge ganz ganz tief hineinschmeicheln wollen. Der soll doch froh sein, dass er dank seiner politischen Prollkarriere nicht selber mit der Schippe am Teerkocher stehen muß!
Mit Lug und Trug und viel Rabatt arbeitet so mancher Einzelhandels-Filialist daran, dem Publikum für höchst zweifelhafte irdische Güter die Knete aus der Tasche zu ziehen. Wie seriös hingegen jener Flohmarkt-Basari, der seine Billisch-Billisch-Designer-Sonnenbrillen gleich im Dutzend für (zusammen!) 30 Euro zu verkaufen trachtet und der um Einzelexemplare nölenden Kundschaft erklärt: „Hab isch auch kein Lusten, diese Scheisse zu behalten und ganzen Tag hier rumzustehen für blöde Kartoffeln, ährlisch, Mann!“
Wie man dieser Tage der Süddeutschen Zeitung entnehmen darf, bewirft der belgische Anarchist Noel Godin (56) seit Jahren aufgeblasene Philosophen wie Bernard Henry Levy, langweilige Filmemacher wie Jean-Luc Godard oder den Microsoft-Sadisten Bill Gates mit sahnhaltigem Backwerk, ohne dafür je verurteilt zu werden: offenbar akzeptierten die Richter seine Begründung, es handle sich beim Tortenwerfen um altes wallonisches Brauchtum. In Norddeutschland soll es eine entsprechende Traditionslinie mit roter Grütze geben: erbitte mir bei den Juristen unter den Lesern dieser Zeilen dringend ein entsprechendes Gutachten und gewähre dafür Mitsprachrecht bei der Auswahl der Opfer!
BILD feiert Jubiläum und in Bremen darf man dazu sogar gratulieren. Ein indianischer Schamane aus Österreich als Redaktionsleiter und immer wieder mal ein nettes Foto ortsansässiger Mädel als Mittelstands-Promotion für Korsett-Friedel im Viertel - so lassen wir uns den Medienterror gefallen. Unter der Bedingung selbstredend, dass das Blatt nicht irgendwann mit einer lokalen Version von Rubys Tagebuch aus dem Leben eines Hundes auf den Markt kommt.... warnt nachdrücklich
Ulrich „Cäsar“ Reineking
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