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„Wir Frauen müssen ein Zeichen setzen“

■ Familienweise wehren sich die Hattinger gegen die Schließung der Henrichshütte / 2.900 Arbeitsplätze in Gefahr / Frauen im Hungerstreik gegen Hütteneigner Thyssen / „Was soll denn aus uns werden, wenn wir uns nicht wehren?“

Von Corinna Kawaters

Hattingen (taz) - Unter einem Zeltdach vor dem Werkstor der Henrichshütte sitzen zwölf Frauen auf Campingstühlen. In Decken und dicke Pullover gehüllt, verharren die Frauen der Hattinger Fraueninitiative seit dem vergangenen Freitag im Hungerstreik gegen die geplante Schließung der Henrichshütte. Tee, Mineralwasser und viele viele Zigaretten sind seither die einzige Diät für die Frauen, von denen einige selbst in der Hütte arbeiten, (zwei von ihnen als kaufmännische Angestellte, eine als Kranführerin) die anderen sind Ehefrauen oder Mütter von Hüttenarbeitern. „Wir kämpfen für die Hütte bis zum letzten“, sagt Frau Wende, die Sprecherin der Frauen–Initiative und einziges weibliches Mitglied des Betriebsrats der Hütte, „das heißt natürlich nicht, daß wir uns tothungern wollen“, setzt sie dann hinzu, „aber wir Frauen müssen ein Zeichen setzen“. Dieser Hungerstreik, den sie bis zur Beendigung der Sitzung des Thyssen–Vorstands am Dienstag nachmittag durchhalten wollen, bildet den Höhepunkt im Aktionsprogramm der Hattinger Fraueninitiative. Widerstandserfahrungen Bei ihren Mahnwachen in Duisburg und Bonn, die sie in eisiger Kälte und strömendem Regen mit ihren Kindern gehalten haben, beim „Geister–Umzug“, mit dem sie die Vision von Hattingen als Geister–Stadt darstellten, bei Versammlungen und Demonstrationen zeigen diese äußerlich biederen Hausfrauen eine völlig neue Seite. Als im Februar 87 bekannt wurde, daß die Henrichshütte geschlossen werden soll und 2.900 Arbeitslose die Sozialstruktur der Stadt Hattingen völlig verändern werden, wurden die Hattinger Frauen spontan aktiv. Sie informierten ihre Freundinnen und Bekannten und organisierten ihre Fraueninitiative. Frauen zwischen 16 und 80 Jahren sind seither im Kampf um den Stahlstandort dabei, wie die Stellwände mit den Fotos und Presseberichten im Zelt der Hungerstreikenden zeigen. „Mütter, Väter, Töchter, Söhne, alle kämpfen gegen die Thyssen– Pläne“ heißt es zur Zeit in vielen Hattinger Familien. Denn familienweise haben sich die Hattinger inzwischen in den Widerstand eingeklinkt. Zum Beispiel die Familie Bregar. Jörg Bregar, der 24jährige Sohn, der beim Aktionstag am Montag dieser Woche auf dem Rathausplatz ein Transparent hält, erklärt die Tradition: „Mein Opa hat schon auf Hütte gearbeitet, mein Vater ist da im Radsatz und ich hab da ne Schlosserlehre gemacht“. „Wehmut und Zorn“ Die drohende Schließung treibt die Bregars alle zur Aktion, Vater und Sohn demonstrieren, die Mutter ist beim Hungerstreik dabei. Couragiert hält Frau Bregar den Redebeitrag der Fraueninitiative vor 140.000 Menschen auf dem Rathausplatz. „Nur meine Schwester ist nicht hier, die hat technische Zeichnerin auf Hütte gelernt und ist schon vor einiger Zeit entlassen worden - die ist aus Hattingen weggezogen“, sagt Jörg Bregar. Auf seinem Transparent steht denn auch „wir wollen Arbeitsplätze in Hattingen“. „Wehmut und Zorn“ verspüren die Leute in Hattingen angesichts des Niedergangs der Hütte, „da können wir Frauen doch nicht zu Hause bleiben, wenns an unsere Existenz geht“ sagt eine der Hun gerstreikenden vor dem Werkstor. „Marga, du bist schon viel dünner geworden“, blödelt ein männlicher Zaungast der Frauen–Aktion, handelt sich aber nur einen mitleidigen Blick der resoluten und stattlichen Sprecherin der Fraueninitiative ein. „Was soll denn aus uns werden, wenn wir uns nicht wehren?“ fragt sie, steckt die Solidaritätsblümchen des Besuchers zu den anderen in die Vase und wendet sich dem nächsten Pressevertreter für ein Statement zu.

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