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Wir - und „die da drüben“

■ Auf dem Krempelmarkt neben dem ehemaligen Polenmarkt herrscht politische und nationale Vielfalt und eine merkwürdige Einigkeit - wenn es um die Polen geht

Tiergarten. Man muß hier die Augen schon lange schließen, bis die eigene Phantasie endlich ein Blumenbeet oder einen seerosenbedeckten Teich produziert. Beim Anblick des riesigen, umzäunten Brachgeländes, kann man sich alles vorstellen - nur keine Bundesgartenschau. „Die kommt nicht, kannste dir abschminken.“ Günters rechten Arm ziert ein Tatoo vom Eifelturm, den linken eine Ordnerbinde. Günter ist seit dreizehn Jahren auf dem Krempelmarkt, kassiert die Standmieten, schlichtet Streits zwischen Kunden und räumt abends mit seinen Kollegen den Müll weg. Ramez, der stoisch vor seinem Trödelstand auf einem Kleidersack in der glühenden Sonne sitzt, pflichtet ihm bei. Wenn etwas ganz sicher kommt, meint er, „dann Daimler.“ Konkreter sieht das allerdings der Senat: Am 31. März 1991 hat es sich hier ausgehandelt. Spätestens dann, so die Wirtschaftsverwaltung, muß der Markt weichen. Auf dem Krempelmarkt haben sie sich vor sechs Jahren kennengelernt. Ramez aus Beirut, der seit vierzehn Jahren hier lebt und sich jeden Tag mindestens dreimal an den Kopf faßt „wegen der Deutschen und ihrem Umgang mit den Ausländern“. Daran ändert auch seine deutsche Staatsbürgerschaft nichts. Wählen darf er zumindest, „und zwar die Grünen, weil die für uns noch das Beste sind“. Günter aus Berlin hat letzten Januar für die „Republikaner“ gestimmt, um den anderen Parteien „wat auf'n Kopp zu geben“. Günter und Ramez verstehen sich bestens, „weil man“, so Günter, „Politik und Kirche aus dem Privaten raushalten muß“. Außerdem haben sie die Wut auf die illegale Konkurrenz - und das schweißt zusammen.

„Die Kollegen aus Pologna“, hat Ramez sie getauft, und er meint das nicht freundlich. Günter hat im Prinzip nichts gegen Polen, „wohl aber was gegen schwarzhandelnde Pollacken“. Auf diesen Unterschied legt er großen Wert, weil man nie alle über einen Kamm scheren darf - weder in Deutschland noch in Polen. Ramez verkauft auf dem Krempelmarkt, was man eben auf einem Trödelmarkt verkauft: Stofftiere, Kristallvasen, Türbeschläge, Goldkettchen. Damals, als die Zeiten noch gut waren, hätte er seinen röhrenden Porzellanhirsch für 60 Mark an den Kunden gebracht. Jetzt verlangt er allenfalls 25 Mark dafür, weil „die da drüben“ die Preise versaut haben.

„Die da drüben“ stehen nicht auf dem Areal an der M-Bahn. Seit letzter Woche ist das Gelände des Polenmarktes rundum gesperrt. Die Senatsumweltverwaltung will nämlich auf dem Ex -Polenmarktgelände gleich nebenan ab heute nach Bodenverseuchungen, Munitionsrückständen oder sonstige Buga -feindlichen Umständen untersuchen. Seit der Sperrung quetschen sich polnische, rumänische und bulgarische HändlerInnen mit ihrem inzwischen handelsüblichen Angebot an den Außenzaun: Zigaretten, Schnaps, Kinderkleidung, Jeans und Trainingsjacken, Reisewecker und eben Kristall und Porzellankitsch. Einige benutzen die Kühlerhauben der parkenden Autos als Auslage, ihre Handflächen als Preisschilder. Ein paar Hundert mögen es sein, die sofort ihre Taschen packen und auf die andere Straßenseite wechseln, wenn sich von weitem wieder eine Polizeistreife nähert. Kein Vergleich zu den Zeiten, als sich jedes Wochenende ein paar Tausend auf dem Gelände an der M-Bahn zum Kaufen und Verkaufen trafen. Die verschärften Zollkontrollen der polnischen Behörden zeigen Wirkung.

Und trotzdem bleibt die Stimmung auf dem Krempelmarkt aggressiv, weil „der Ruf kaputt ist“, sagt Ramez. Stammkunden bleiben weg, Händler mit „gehobenem Trödel“ weichen auf die anderen Märkte in der Stadt aus. Beschwerden über Taschendiebstähle mehren sich. Der Spruch von den „verklauten Rumänen“ macht die Runde, Kunden mit dunklerer Pigmentierung werden verscheucht: „Hau ab, geh woanders kaufen.“

Der Mitleidsbonus für die wirtschaftlich Schwächeren, wenn er denn je existierte, ist längst ins Gegenteil umgeschlagen. Wer arm ist, so die Logik, nimmt Spenden, aber er handelt nicht. Arm sein ist auch eine Frage des Transportmittels. In den Anfangszeiten des Polenmarktes wurde jeder Besitzer eines Fiats mit schwarzen Kennzeichen schon dem gehobenen Mittelstand zugeordnet. Jetzt ist die Automarke entscheidendes Kriterium. „Polski Fiat gibt's hier schon lange nicht mehr“, sagt Günter, die fahren alle 'nen Benz“.

Auch dem Besitzer der Imbißbude auf dem Krempelmarkt ist die ungeteilte Freude an geöffneten Grenzen abhanden gekommen. Seit Joachim Frühauf einen Umsatzrückgang von 50 Prozent zu verzeichnen hat, „geht's an meine Existenz.“ Die allerdings haben gar nicht die HändlerInnen aus Warschau, Posnan oder Wrocwlaw gefährdet, sondern die Billigkonkurrenz aus West-Berlin.

Monatelang versorgten fliegende HändlerInnen die Massen auf dem Polenmarkt mit Cola, Obst, Döner, Hähnchen und Schokolade, während in der offiziell angemeldeten Imbißbude Pommes und Currywürste im Bratöl liegenblieben. In solch einer Situation falle es dann schwer, noch „Verständnis für das Ost-West-Gefälle aufzubringen.“

Die drohende Schließung - falls bis Ende März kein Ersatzgrundstück gefunden wird - ist für Frühauf nur noch das I-Tüpfelchen des Desasters. Bleibt nur noch Platz auf dem Mauerstreifen, sagen Günter und seine Ordnerkollegen und und machen sich vorsorglich mit den 17.000 Unterschriften, die sie schon einmal vor ein paar Jahren für den Erhalt des Kempelmarktes gesammelt haben, auf den Weg. Früher, als Günter noch eine Menge auf Rudi Dutschke hielt, „wollte ick die Welt immer umstürzen, jetzt will ick se erhalten“. Ramez nickt wieder. Der Krempelmarkt gehöre zur Berliner Kultur, „den kann man nicht einfach abschaffen.“

Andrea Böhm

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