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Windelgesichtige Blödköppe

■ »The Punk Rock Movie« von Don Letts im Eiszeit-Kino in Kreuzberg 36

Lang, lang ist's her, und die Sex Pistols gehören inzwischen zur Rockhistorie wie Led Zeppelin. Und das passiert ausgerechnet dem Punkrock, wo dieser Haufen stinkender Schwachköpfe angetreten war, den Rock 'n' Roll mit seinen eigenen Mitteln in ein schwarzes Loch zu pusten. Inzwischen heißt Johnny Rotten wieder John Lydon und macht durchschnittliche Rockplatten, die mit Begeisterung im AOR-Radio gespielt werden. Man sollte sich erinnern. Auch an damals, auch weil wir alle jünger waren, und weil Punk immer noch die einflußreichste Strömung in der weißen Popmusik ist. Immer noch.

Erinnern hilft The Punk Rock Movie von 1978. Das Jahr, in dem eigentlich schon wieder alles vorbei war. Rotten hatte die Pistols im Januar verlassen und P.I.L. gegründet, und am 2. Februar 1979 starb Sid Vicious an einer Überdosis. Doch das interessiert den Film nicht. Er bildet nur ab und erinnert uns an die, die wir noch kennen, und an die, die wir längst vergessen haben: Pistols, Siouxie and the Banshees, Slits, Generation X, Johnny Thunder, Clash, Subway Sect, Wayne County...

Der Film beginnt und endet mit den Sex Pistols — natürlich. In der zweiten Sequenz dokumentiert er das Roxy, jenen legendären Club, der während seines nur 100tägigen Bestehens die einzige Auftrittsmöglichkeit in London für viele Bands war. Wir sehen den jungen, damals noch unbekannten Shane McGowan in einem aus einem Union Jack geschneiderten Hemd herumpogoen und wissen plötzlich, daß Punk eben nicht nur Punk auslöste.

Der Film hält sich nicht mit Erklärungen auf. Er ist so hektisch, chaotisch und voller schlechtem Geschmack wie die Bewegung selbst. Das macht ihn — heute gesehen — nervtötend. Aber auch interessant, denn in der Rückschau verklären wir gern, und vergessen nur zu leicht, daß damals eben nicht alle so schön waren wie Siouxie Sioux, daß auch der Punk seine Blödköppe hatte, daß Anarchy in the U.K. eben doch nur ein Wunschtraum, vielleicht sogar nur ein Promo-Gag war.

Vor dem Film laufen Zeilen ins Bild, erklären, daß der Sound der Aufnahmen ungemischt übernommen wurde, um dem Geist des Punk nahezukommen. Ganz abgesehen davon, daß es den Geist des Punk nirgendwo zu keiner Zeit gegeben hat, ist dieses Verständnis von Punk ungefähr so authentisch wie ein Live- Auftritt von Supertramp: jede Note der Platte auf der Bühne exakt wiedergegeben. Diese einleitende Aussage zeigt nur, daß Filmemacher Don Letts nichts verstanden hat.

Aber Letts ist auch kein Dokumentarfilmer und will keiner sein. Er ist einfach nur Fan, er hält die Kamera drauf, wacklig und undurchdacht — Punk eben. So erhalten wir die Bilder, die man erwarten darf, und solche, die einen überraschen: Natürlich den windelgesichtigen Billy Idol als Jungstar bei Generation X, natürlich bescheuerte Diskussionen in Probenräumen, natürlich pogotanzende Massen, natürlich die dämliche Polizeiaktion (hier die Beschlagnahmung eines Fingers und eines Ohrs aus Plastik von der Schaufensterauslage eines Ladens in der Kings Road). Aber auch Bilder vom Fixen auf dem Klo, Siouxie beim wahllosen Tablettenschlucken, Joe Strummer bei der Kissenschlacht.

The Punk Rock Movie wirkt wie eine Erinnerung an eine Klassenfahrt. So grobkörnig wie schmuddelig, voll mit vielen unangenehmen und einigen wenigen angenehmen Erlebnissen, die erste Liebe und die nachträgliche pubertäre Peinlichkeit. Und vor allem stellt der Film eines fest: Punkrock müffelt in der Zwischenzeit recht unangenehm. Aber Zelluloid riecht ja nicht. Thomas Winkler

The Punk Rock Movie , Deutsche Erstaufführung, Großbritannien 1978, von Don Letts, mit The Sex Pistols, Siouxie and the Banshees, The Slits, Generation X, Johnny Thunder and the Heartbreakers, The Clash, Subway Sect, Wayne County and the Electric Chairs u.a. Ab heute im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg

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