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„Willy Brandt wollte allein nach Bagdad fahren“

■ Der belgische Euro-Politiker Willy De Clercq wirft dem Deutschen Willy Brandt parteipolitisches Kalkül vor INTERVIEW

Willy De Clercq, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments und früherer belgischer Finanzminister, wollte eigentlich zusammen mit Willy Brandt nach Bagdad reisen. Weshalb er davon Abstand genommen hat, erläuterte er der belgischen Tageszeitung 'La Dernière Heure‘

Willy De Clercq: Es ist jetzt klar, daß Brandt beschlossen hat, allein nach Bagdad aufzubrechen und daß er unter dem Banner der Sozialistischen Internationale reisen wird. Angesichts dieses Umstands können sich weder Colombo (der italienische Christdemokrat war als dritter Emissionär im Gespräch) noch ich selbst einer solchen Initiative anschließen. Die deutsche Regierung hatte mich in der Tat aufgefordert, als Präsident der europäischen Liberalen an einer humanitären Mission teilzunehmen, die die wichtigsten politischen Kräfte der Europäischen Gemeinschaft vereinigt. Ich habe natürlich von ganzem Herzen zugesagt. Ich hatte zwei Vorbehalte, mich einer solchen Mission anzuschließen: erstens sollte sie parteiübergreifend sein und zweitens rein humanitären Charakter haben. Es konnte sich also meiner Ansicht nach nicht darum handeln, politische Probleme zu verhandeln, und noch weniger darum, das Schicksal der Geiseln mit einer möglichen politischen Lösung des Golfkonflikts zu verknüpfen.

La Dernière Heure: Jenseits des erklärten humanitären Ziels der Mission geht es scheinbar auch um innenpolitische Überlegungen. Willy Brandt ist Sozialist und in der Opposition. Und wir stehen vier Wochen vor den deutschen Bundestagswahlen ...

All das führt zum Ergebnis, daß Brandt sich offenbar geweigert hat, sich einer pluralistischen Delegation anzuschließen. Er will allein reisen. Diesen Schritt finde ich bedauerlich. Es finde es schlimm, das Schicksal von Leuten, die seit über drei Monaten ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und von ihren Familien getrennt sind, mit einer politischen Auseinandersetzung zu verknüpfen. Nichtsdestotrotz hoffe ich, daß Brandt gute Resultate erzielen wird, ich wünsche ihm das. Schließlich zählt das Ergebnis. Sein internationales Renommee dürfte dazu beitragen.

Was halten Sie von der Initiative von Staatssekretärin Anne-Marie Lizin, die Brandt gebeten hat, sich auch für die Interessen der belgischen Geiseln stark zu machen?

Wir wollen, daß alle Geiseln freikommen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Ich kann nur hoffen, daß auch Herr Brandt das so sieht.

Entnommen: 'La Dernière Heure‘, 5.11.90

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