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Archiv-Artikel

Wilder Westen war einmal

Die Zeitarbeitsbranche schließt Tarifverträge und zementiert zugleich die Benachteiligung von Zeitarbeitern. Mehr Jobs wird es deshalb allerdings nicht geben. Stagnation grassiert auch dort

von TILMAN VON ROHDEN

Das so genannte Normalarbeitsverhältnis, also Arbeit in Festanstellung bei knapp 40 Stunden Arbeitszeit, befindet sich schon seit Jahren auf dem Rückzug. Stattdessen wachsen an den Rändern des Arbeitsmarktes neue Modelle heran: Teilzeit, Zeitarbeit, Mini- und Midi-Jobs, Ich-AGs, staatlich finanzierte „Maßnahmen“ wie Weiterbildungs- und Vorkurse, Tätigkeiten, die nicht länger dauern, als das Überbrückungsgeld fließt, sowie selbstausbeuterisches Freiberuflertum.

In vielen Fällen führen solche Arbeitsmodelle zu dauerhaft ungesicherten Lebensgrundlagen: Mal fließen Einnahmen, mal nicht, mal muss der Staat alimentieren, mal reicht das selbst verdiente Geld. Die wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten sind für diesen Personenkreis so unstet wie das Wetter. Fachleute sprechen von prekären Existenzen.

Die Zeitarbeit kann wohl kaum zum Dunstkreis dieser wetterwendischen Existenzgrundlagen gerechnet werden, denn ab dem kommenden Jahr gelten dort verbindlich Tarifverträge, die neben dem Entgelt auch die üblichen sonstigen Leistungen wie Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung, bezahlten Urlaub und den Kündigungsschutz regeln. Arbeitgeber sind in diesen Fällen nicht die Einsatzbetriebe, sondern die Zeitarbeitsfirmen, die auch dann Lohn zahlen, wenn es keine Einsatzmöglichkeiten für die oft fest angestellten Mitarbeiter gibt. Beschäftigt werden meist Qualifizierte aus den Branche Handel und Dienstleistungen. Die Akademikerquote beträgt 13 Prozent, rund 60 Prozent haben einen Berufsabschluss.

Die Tarifverträge der beiden größten Verbände für Zeitarbeit, dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) und der Interessengemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen, die mit der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit erfolgreich verhandelt haben, kennen, anders als der Tarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft der christlichen Gewerkschaften und der Mittelstandsvereinigung Zeitarbeit, keine umfassenden Öffnungsklauseln. „Es ist abzusehen, dass auf Arbeitnehmer, die auf der Grundlage des Tarifvertrags der christlichen Gewerkschaften beschäftigt werden, starker Druck ausgeübt wird, um deren Rechte auszuhöhlen“, glaubt Christoph Wachter, Tarifexperte beim DGB.

Der Gesetzgeber hat in seiner neuesten Fassung des Gesetzes zur Arbeitnehmerüberlassung, das seit 1972 den Rahmen für Zeitarbeit vorgibt, festgelegt, dass Zeitarbeiter genauso behandelt und bezahlt werden müssen wie die Mitarbeiter des Entleihbetriebs – es sei denn, ein Tarifvertrag legt anderes fest. Diese Schlechterstellung von Zeitarbeitern vereinbarten alle bisher geschlossenen Tarifverträge. „In der Praxis werden Zeitarbeiter weniger verdienen als vergleichbare Mitarbeiter im Entleihbetrieb“, sagt Thomas Läpple, BZA-Sprecher. Dieser Einschätzung stimmt auch Christoph Wachter vom DGB zu. Dennoch sind Zeitarbeiter im Allgemeinen nicht unzufrieden. Nach einer jüngst veröffentlichten Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) haben Zeitarbeiter einen Zufriedenheitsgrad von 6,6 auf einer Skala von 0 bis 10 und sind damit nur 0,7 Punkte unzufriedener als Arbeitnehmer in der Gesamtwirtschaft.

Echt sauer ist die Branche dagegen, weil die mit dem Hartz-Gesetz eingeführten Personal-Service-Agenturen (PSA) der Arbeitsämter, die mit dem Rückenwind des Gesetzgebers und finanzieller Unterstützung des Staates eine vermittlungsorientierte Zeitarbeit betreiben, den kommerziellen Anbietern unfaire Konkurrenz machen würden. „Gegen eine vermittlungsorientierte Arbeit ist nichts anzuwenden, aber die PSA nutzen die staatlichen Zuschüsse für Dumpingpreise“, mokiert sich Läpple. Er plädiert für freien Wettbewerb und die Gleichbehandlung aller Anbieter, allein schon deshalb, weil die PSA kommerzieller Unternehmen erfolgreicher seien als diejenigen nicht kommerzieller Vermittler.

So oder so sind die PSA wohl kein Joker für den darnieder liegenden Arbeitsmarkt. Denn nur rund 2.800 Menschen haben durch die Arbeit innerhalb einer PSA eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wieder aufgenommen. Kein großartiger Erfolg vor dem Hintergrund, dass die PSA bisher 31.000 Menschen eingestellt haben und allein in diesem Jahr 280 Millionen Euro kosten.

Zeitarbeit ist durch die Pläne der Bundesregierung und durch die in Gesetzesform gegossenen Vorschläge der Hartz-Kommission zum Königsweg aus der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit avanciert. Ob sich die Hoffnungen erfüllen, bleibt abzuwarten. Zeitarbeitsunternehmen und Wirtschaftsverbände kritisieren, dass mit der Novellierung des Gesetzes zur Arbeitnehmerüberlassung und den gerade geschlossenen Tarifverträgen (wieder einmal) Chancen für einen erhöhten Beschäftigungsgrad verspielt worden seien.

Die Zahlen scheinen diesen Kritikern Recht zu geben. In Deutschland arbeiten gerade mal 0,9 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Tätigen in der Zeitarbeitsbranche. In anderen Ländern wie den USA, Großbritannien Niederlanden und Frankreich sind es dagegen zwischen 3 und 4,5 Prozent. „Mindestens in diesem Jahr konnte dieses Defizit nicht gemindert werden“, heißt es beim BZA: „Die Branche stagniert“, sagt Thomas Läpple, „obwohl die Tarifverträge schon Anwendung finden.“