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„Wieviele Soldaten hast du gekauft?“

■ Eine neue Kampagne zur Mobilisierung für die Front soll zugleich die Teheraner Kriegskassen füllen / Das „Freikaufen“ ist für viele kaum erschwinglich / Mit der neuen Kampagne soll Kampfmoral gehoben werden / Geschäftsleute befürchten Abbuchungen von ihren Konten

Aus Teheran Bibi Jenkins

Die Islamische Republik ist erneut Schauplatz einer Mobilisierungskampagne. Das hat wiederum zu Spekulationen über eine neue iranische Großoffensive im Krieg gegen den Irak geführt. Vor etwa vier Woche veröffentlichte der Oberste Verteidigungsrat, dem unter anderem Präsident Ali Khamenei und Parlamentspräsident Haschemi Rafsanjani angehören, einen Brief, in dem die Bevölkerung aufgefordert wurde, in den Krieg zu ziehen oder zumindest die Kosten für Soldaten und Kriegsfreiwillige zu übernehmen. Ein Soldat koste monatlich ohne Ausrüstung 200.000 Rial, hieß es in dem Schreiben. Diejenigen, die nicht selbst an die Front wollen, sollten daher die Kosten für einen oder mehrere Krieger übernehmen. Khamenei griff diesen Vorschlag noch einmal auf und wies darauf hin, daß Khomeini persönlich die Kosten für 20 Soldaten und Freiwillige für einen Zeitraum von drei Monaten übernommen habe. Der Präsident ermahnte Ärzte, Ingenieure und Geschäftsleute, dem Beispiel zu folgen. Die Kampagne läuft seither auf vollen Touren und versetzt viele Iraner in Angst und Schrecken, auch wenn kein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde. Denn obwohl die Kampagne offiziell freiwillig ist, sieht das in der Realität häufig ganz anders aus. So haben sich viele Betriebe des öffentlichen Dienstes das hehre Ziel gesetzt, daß jeweils 20 Prozent der Angestellten an der Front sein müßten. Mitarbeiter, die ihre Arbeitsstelle oder die Anrechnung ihrer Dienstjahre nicht verlieren wollen, haben meist keine andere Wahl als zumindest zeitweilig in den Krieg zu ziehen. Auch die Alternative, sich vom Kriegsdienst freizukaufen, zieht hier nicht, denn die geforderten 200.000 Rial entsprechen dem Dreifachen eines durchschnittlichen Monatslohns. Angesichts der großen Spanne zwischen offiziellem und Schwarzmarkt–Preis, die zwischen umgerechnet 5.740 und 400 DM liegt, ist dieser Betrag für die im Exportsektor Tätigen zwar ein fach aufzubringen, für andere allerdings unbezahlbar. Zur Kasse gebeten werden sämtliche Angestellte des Justizministeriums. Ihnen werden monatlich 5.000 Rial vom Gehalt abgezogen, von Rundfunk– und Fernsehangestellten ein Tageslohn pro Monat. Arbeiter in den staatlichen Fabriken müssen auf mehrere Tageseinnahmen verzichten; für Lehrer wurden bestimmte Sätze festgelegt. In den Betrieben werden Formblätter an die Beschäftigten verteilt, in denen sie angeben müssen, ob sie in den Krieg ziehen oder sich mit Geldbeträgen beteiligen wollen. Viele von denen, die mit ihrem Gehalt nicht auskommen und zwei, drei Jobs gleichzeitig nachgehen, um die Schwarzmarktpreise bezahlen zu können, melden sich lieber an die Front, damit ihre Familien in dieser Zeit wenigstens ein Auskommen haben. Große staatliche Unternehmen wie die Tageszeitungen etelaat oder Keyhan oder Organe wie die Märtyrerstiftung stellen hohe Summen aus ihrem Etat zur Verfügung und geben bekannt, daß sie beispielsweise die Kosten für 200 oder 300 Soldaten für die nächsten zwanzig Jahre übernehmen. Die Kampagne, an der sich auch Privatunternehmen beteiligen müssen, mit der die in Anbetracht der Vermittlungsbemühungen der UNO angeschlagene Kriegsmoral wieder gehoben und die Staatskasse gefüllt werden soll, hat jedoch für des Regime weniger liebsame Seitenaspekte. So ziehen beispielsweise zunehmend Bazaris, die traditionellen iranischen Geschäftsleute, oder andere Wohlhabende ihre Guthaben aus den Banken zurück. Sie befürchten, daß willkürlich Beträge von ihren Konten für die Kriegskasse abgezogen werden könnten. Die Ansichten über die Mobilisierungskampagne schlagen sich schließlich auch in Alltagsgesprächen nieder, wenn sich Freunde, manchmal sogar Fremde, zurufen: „Wieviele Revolutionsgardisten hast du gekauft?“ - „Und wieviele Soldaten kaufst du?“

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