: Wieviel Sozialismus für Südafrika?
Sporadische Äußerungen aus dem ANC über Verstaatlichungen und die Nichtbezahlung der Auslandskredite entfachen Streit/ Die Befreiungsbewegung hat noch kein Wirtschaftsprogramm ■ Aus Johannesburg T. Murphy
Eine erregte Debatte ist in Südafrika um die Verstaatlichung von Industrieunternehmen und Banken sowie die Rückzahlung von Krediten entbrannt. ANC-Präsident Nelson Mandela hatte bei einem Bankett mit Geschäftsleuten zu deren Entsetzen angekündigt, daß der African National Congress (ANC) bei einem Wahlsieg Banken und große Bergbaukonzerne zu nationalisieren gedenke, um die gröbsten Ungleichheiten im Lande anpacken zu können.
Damit habe der ANC „archaisches und bankrottes Denken gezeigt“, kommentierte zornig ein Sprecher von Anglo American, dem mächtigsten Konzern Südafrikas. Anglos oberster Chef Julian Ogilvie Thompson rügte, eine solche Strategie habe Osteuropa und Afrika in den Ruin getrieben, und verlangte eine „sensible Umverteilungspolitik“. Etwas eingeschüchtert erklärte der ANC, über die wirtschaftspolitische Stoßrichtung der Partei werde erst Anfang kommenden Jahres entschieden. „Dem Genossen Mandela“ sei es nur darum gegangen, „die Aufmerksamkeit auf die enormen Unterschiede in Macht und Reichtum zu lenken, die Schwarz und Weiß in unserem Land trennen und den großen Druck, den jede demokratische Regierung spüren wird, sich darum zu kümmern.“
Kaum hatte sich die Aufregung etwas gelegt, da sorgte ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa für neue Turbulenzen. „Eine künftige demokratische Regierung“ werde die moralische Pflicht haben, alle Kreditvereinbarungen zu überprüfen, „die das Apartheidregime eingegangen ist und die Bedingungen, unter denen sie erzielt wurden“, hatte Ramaphosa nach einem Treffen mit der deutschen Staatssekretärin Michaela Geiger erklärt.
Mehrere führende ANC-Politiker beeilten sich sofort zu versichern, daß eine künftige ANC-Regierung frühere Zahlungsverpflichtungen selbstverständlich respektieren werde. „Das mag eine unglückliche Situation sein“, meinte der ANC-Vizechef für internationale Beziehungen, Stanley Mabizela, „aber es ist internationales Recht.“
Die Staatssekretärin Geiger machte ihrem Mißfallen am Donnerstag Luft. „Wenn man will, das Kapital ins Land kommt“, belehrte sie den ANC, „sollte man solche Dinge nicht sagen.“ Die widersprüchlichen Aussagen über Verstaatlichung und die Rückzahlung von Krediten spiegeln die Unsicherheit des ANC wieder. Innerhalb der Organisation herrschen äußerst unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie Südafrika mit seiner äußerst krassen Diskrepanz zwischen Arm und Reich, zwischen „Erster“ und „Dritter Welt“, umgestaltet werden kann.
Denn in der Allianz namens ANC sind sehr verschiedene politische Charaktere vereinigt, von konservativen Sozialdemokraten bis zu strammen Kommunisten. Wobei auch letztere nicht sicher sind, wie sozialistisch das Programm aussehen soll. „Das Konzept der Problemlösung durch bloßes Wirtschaftswachstum ist ein Phantom“, sagte letzte Woche Joe Slovo, führendes ANC-Mitglied und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Südafrikas, „aber ohne Wirtschaftswachstum kann es keine Umverteilung geben.“ Es mutet als ironischer Zufall an, daß der südafrikanische Zensor am Tag der Mandela-Äußerung Schriften von Karl Marx, darunter das Kommunistische Manifest und Das Kapital, „entbannt“ (legalisiert) hat.
Ähnlich unsicher sind die ANC- Ökonomen beim Thema Sanktionen, lange dem wichtigsten Druckmittel der Opposition. Am Freitag legten sich der ANC und seine Allianzpartner erneut auf jenes Modell fest, das ANC-Außenminister Thabo Mbeki beim nationalen ANC-Kongreß Anfang Juli durchsetzte. Es sieht ein phasenweises Ende der Sanktionen vor. Zuerst sollen Sport-, Wissenschafts- und Kulturbeschränkungen mit der Klärung der Frage der politschen Gefangenen und der Rückkehr der Exilanten aufgehoben werden. Dies ist bereits im Gange.
Wirtschaftssanktionen sollen beendet sein, sobald bei einer Allparteienkonferenz, die derzeit für Ende des Jahres erwartet wird, Einigung über Maßnahmen zur Übergabe der Staatsmacht, insbesondere eine Interimsregierung, ausgehandelt worden sind. Nur das Öl- und das Waffenembargo sollen in Kraft bleiben, bis eine neue Verfassung verabschiedet und Wahlen in Vorbereitung sind.
Wohl am härtesten hatte Südafrika der totale Ausschluß vom internationalen Kapitalmarkt ab 1986 getroffen. Schweizer Banken waren mit die ersten, die dem Land Ende der achtziger Jahre auf niedrigem Niveau wieder Kredite gewährten. Selbst Mitte dieses Jahres hatten südafrikanische Firmen nur auf dem deutschen und schweizerischen Geldmarkt Zutritt gefunden.
Der ANC ist unter Druck, seine Sanktionspolitik flexibel zu gestalten, da alle Idustrienationen bereits mit der Aufhebung ihrer mehr oder weniger wirksamen Strafmaßnahmen gegen Südafrika beschäftigt sind. Exporteure am Kap pusten den Staub von ihren Weltkarten und machen wieder Zukunftspläne. Südafrika kehrt in die Welt zurück.
Selbst die Vereinten Nationen bereiten sich nach Jahrzehnten strikten Boykotts auf ein Engagement in Südafrika vor. Vor kurzem eröffnete der UN-Flüchtlingskommissar nach zähen Verhandlungen mit der Regierung eine Dependance am Kap. Die UN-Behörde soll bei der Rückführung der Exilanten helfen. Doch „massive“ UN-Hilfsprogramme in den Bereichen Erziehung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen und Landwirtschaft werden nach Auskunft führender UN-Repräsentanten nicht vor demokratischen Wahlen im Land starten.
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