Wieso die AfD auf Höhenflug bleibt: Toxisches Gelaber
Leitkultur-Gerede wie das von Friedrich Merz über Weihnachtsbäume stärkt die AfD. Das spiegelt sich in den Umfragewerten wider.
T annenbaum, Bockwurst, Kartoffelsalat: Kurz vor Weihnachten war es die CDU, die mal wieder eine Leitkulturdebatte entfacht hat. Einen Weihnachtsbaum zu kaufen, das sei „unsere Art zu leben“, erklärte Parteichef Friedrich Merz, das gehöre zu „unserer kulturellen Identität“. Mit diesem Wir-und-Die-Wording, also hier die Deutschen und da die Anderen, spielt die CDU der AfD, mit ihren eh stabilen Umfragewerten, in die Karten.
In Mecklenburg-Vorpommern liegt die AfD in Umfragen derzeit bei 35 Prozent. Und Fraktionschef Nikolaus Kramer findet, dass die AfD nicht alleine auf den Parlamentarismus setzen dürfe. In seinem Podcast „Außerparlamentarischer Widerstand und Regime Change von rechts“ spricht er mit Martin Sellner, der Sprecher der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung (IB) Österreich war und auch als Akteur der Neuen Rechten in Deutschland bekannt ist, ganz offen darüber, wie eine rechtsextreme Regierungsübernahme in Deutschland gelingen könne und was man gegen den „Bevölkerungsaustausch“ unternehmen müsse.
Die Nähe der AfD zur IB lässt allerdings viele kalt. Bei der Landtagswahl in Hessen, wo die AfD über 18 Prozent erlangte, sagten in einer Umfrage 80 Prozent der Befragten, es sei ihnen egal sei, dass die „AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“ und 95 Prozent sagten, sie fänden es „gut“, dass die AfD „den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will“.
Zehn Jahre nach Parteigründung ist der AfD das Agenda-Setting also gelungen. In Hamburg zum Beispiel stellten kürzlich Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer und Bildungssenator Ties Rabe (beide SPD) fest, dass die vielen Geflüchteten die Wohn- und Bildungsmöglichkeiten an ihre Grenzen brächten. Dabei regiert die SPD hier seit zwölf Jahren und hat beim sozialen Wohnungsbau und dem schulischen Bildungsangebot einfach zu wenig bewegt. Die Hamburger AfD dürfte es freuen, dass die SPD auf ihre Agenda aufspringt. In Umfragen kommt die AfD hier gegenwärtig auf 14 Prozent, ein Zuwachs von fast 9 Prozent im Vergleich zur letzten Bürgerschaftswahl.
Krisen wie die Pandemie oder der Ukraine-Krieg spielen Rechtsextremen ohnehin immer in die Hände – unglückliches Krisen-Management noch mehr. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen kam die AfD auch deswegen zuletzt auf 11 Prozent und verdoppelte ihr Ergebnis fast. In Umfragen liegt sie nun bei 18 Prozent. Mit 12 Prozent würde die AfD in Schleswig-Holstein wieder in den Landtag ziehen. In Bremen liegt die AfD laut Umfragen bei 6 Prozent.
Alle demokratischen Parteien sollten nun, etwa im anstehenden Europawahlkampf, weiter gegen die Normalisierung der AfD angehen. Wer sich stattdessen die Wir-und-Die-Agenda zu eigen macht, wie jetzt CDU-Chef Merz, macht letztlich Wahlkampf für die AfD.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste