: Wiederbelebung der sozialliberalen Koalition
■ In Hamburg bildet erstmals seit der Wende in Bonn die SPD zusammen mit der FDP wieder eine Koalition
Bis Donnerstag sollen die Koalitionsverhandlungen in Hamburg abgeschlossen werden, bis zum Wochenende dürfte die Koalition dann perfekt sein. Beide Parteien mußten Federn lassen: Die FDP schluckte den Kauf der Neuen Heimat, die SPD verzichtete auf konkrete Schritte zum Ausstieg aus der Atomkraft und düpierte die Gewerkschaften mit Abstrichen bei der Mitbestimmung.
Es ist ein Ritual: Wenn Klaus von Dohnanyi und Ingo von Münch aus dem hanseatisch noblen Phoenixsaal des Hamburger Rathauses treten und sich den vor der Tür versammelten Journalisten stellen, wartet der FDP–Vorsitzende mit verschränkten Armen und gelassenem Gesichtsausdruck höflich die ersten Statements des Regierenden Bürgermeisters ab. Galant läßt der kleine von Münch seinem großen Koalitionspartner in spe den Vortritt, um dann in kurzen Formulierungen die Aussagen Dohnanyis zu bestätigen. Die Einhaltung politischer Anstandsregeln fällt dem Landesvorsitzenden der Hamburger FDP nicht schwer. Aber hinter der Tür des Verhandlungsraumes hört für von Münch die Rolle des Juniorpartners auf. Er verhandelt nicht als Kopf einer 6–Prozent– Partei, sondern als scheinbar ebenbürtiger Gegner der mächtigen Hamburger SPD, die nach den Einbußen bei den Wahlen im November letzten Jahres bei den Wiederholungswahlen im Mai wieder 45 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte. Bereits am Wahlabend wurden die Weichen für ein Zusammengehen von Sozial– und Freidemokraten gestellt. Nachdem es Dohna nyi im letzten Winter nicht gelang, mit GAL oder CDU Vereinbarungen zu treffen, ließ das Wahlergebnis keine andere Konstellation zu, um die Hansestadt, wie alle Seiten lautstark forderten, „endlich wieder regierbar zu machen“. Die Liberalen, mit einer klaren Koalitionsaussage zugunsten der CDU in den Wahlkampf gezogen, legten die Hürden für eine sozialliberale Koalition extrem hoch. Themenbereiche, die vor allem der SPD–Linken am Herzen liegen, wurden zu Eckpunkten der Zusammenarbeit erklärt, so daß selbst Springers Hamburger Abendblatt kommentierte, die Forderungen der FDP zielten darauf, „sozialdemokratisches Urgestein zu zertrümmern“. In der Tat: Besonders bei vier Themen ging es sowohl für die traditionell sozialdemokratische als auch für die „neue“ SPD–Politik ans Eingemachte. Das erste Hindernis war die von der SPD angekündigte Satzungsänderung für das Energieversorungsunternehmen HEW, das sich zu drei Vierteln in öffentlichem Besitz befindet. Gemäß dem Nürnberger Parteitagsbeschluß sollte ein Verfahren erarbeitet werden, nach dem Hamburg sich im Laufe von zehn Jahren vom Atomstrom unabhän gig macht. Das Beharren auf diesen Plänen war die SPD vor allem den Wählern schuldig, denen sie ihren Erfolg vom 17. Mai verdankt: Umweltinitiativen aus dem gemäßigt–ökologischen Spektrum. Als die SPD angesichts der sturen Ablehnung dieses Vorhabens durch die FDP ins Wanken geriet, meldete sich prompt der „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND), die größte und wohl einflußreichste Umweltorganisation der Bundesrepublik: „Wir fordern die SPD auf“, schrieb sie in einem Offenen Brief im Juni, „ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen und das Vertrauen ihrer Hamburger Wähler in das Wahlversprechen, einen Ausstieg aus der Kernenergie in zehn Jahren und die Satzungsänderung der HEW herbeizuführen, zu bestätigen.“ Wochenlang bestimmte diese Auseinandersetzung die sozialliberalen Gespräche, dann gab Dohnanyi die angestrebte Satzungsänderung auf, die den Ausstieg der HEW aus vier Atomkraftwerken bedeutet hätte, und die FDP konnte als Punktsieger in die Sommerpause gehen. Doch die Hürden waren bei Wiederaufnahme der Gespräche nicht niedriger. So startete die FDP den nächsten Angriff auf so zialdemokratisch–gewerkschaftliche Essentials: Die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, beklagen die Liberalen, gehe zu weit, die Personalräte seien zu mächtig. Vom Personalvertretungsgesetz betroffen sind in Hamburg rund 113.000 Angestellte im öffentlichen Dienst, an die 18.000 Beschäftigte profitieren von der erweiterten Mitbestimmung. Die schärfste Auseinandersetzung lieferten sich dabei die Fraktionsvorsitzenden - Wilhelm Rahlfs (FDP) und Henning Voscherau (SPD). „Jetzt oder nie“, witterte die FDP–Rechte die Chance. Das Mitbestimmungsrecht „ist unantastbar“, gab Voscherau schroff zurück. Nach wiederum zähen Verhandlungen ist klar: Die Mitbestimmung war unantastbar, die Sozialdemokraten gaben wiederum klein bei. In welchem Umfang die Personalrats– Befugnisse beschnitten werden, unterliegt zur Zeit noch der Geheimhaltung, die sich die Verhandlungspartner auferlegt haben. Und die SPD hat wenig Interesse, sich noch vor einem erfolgreichen Abschluß der Koalitionsgespräche dem geballten Zorn der ÖTV auszusetzen. Auch Polizeigewerkschaft und GEW kündigten für diesen Fall massive Protestaktionen an. Die sind auch zu erwarten, sollte die von der FDP geforderte Privatisierung öffentlicher Betriebe durchgesetzt werden. Ähnlich wie bei der Mitbestimmung ist der Umfang solcher Maßnahmen zwar noch nicht bekannt, doch ein Anfang wurde bereits gemacht: Anteile der staatseigenen Gaswerke sollen an die zu drei Vierteln in öffentlichem Besitz befindlichen HEW verkauft werden. Ein Schritt, der Ingo von Münch noch lange nicht ausreicht: „Ich stimme der CDU–Kritik zu“, sagte er gegenüber der taz, „daß es sich hierbei noch nicht einmal um den Ansatz von Privatisierung handelt.“ Mit dem Verkauf von Staatsbetrieben will von Münch den Hamburger Haushalt konsolidieren. Dies gewinnt für ihn um so mehr an Bedeutung, weil er Dohnanyi eine Senkung des Gewerbesteuersat zes abtrotzte, die jährliche Mindereinnahmen von rund 40 Millionen Mark mit sich bringt. Nur bei einem der vier Verhandlungs– punkte konnte die SPD einen wenn auch bescheidenen Erfolg verbuchen. Der als Wahlversprechen angekündigte Kauf von 41.600 Wohnungen des maroden „Neue– Heimat“–Konzernes wurde nach mehreren Nachtsitzungen von der FDP gebilligt - über die genauen Konditionen will von Münch allerdings „noch hart verhandeln“. Ein insgesamt überwältigender Erfolg also für Ingo von Münch? Nicht ganz. Der sympathische Jura–Professor hat Ärger in der eigenen Partei. Die Gegenspieler–Position nimmt dabei der FDP–Fraktionsvorsitzende Wilhelm Rahlfs ein. Obwohl die Hamburger Freidemokraten ihren Wiedereinzug in die Bürgerschaft ausschließlich Ingo von Münch verdanken, schielt Rahlfs ungeniert öffentlich auf den Posten des Wirtschaftssenators, an dem auch der Landesvorsitzende interessiert ist. Die überwiegend CDU–orientierte Parteibasis nimmt von Münch zudem übel, bei der Auseinandersetzung um die Hafenstraße die Verhandlungslinie Dohnanyis lautstark zu unterstützen, ja sogar das direkte Gespräch mit den Hausbesetzern im Schanzenviertel zu suchen. Das Personenkarussel für den neuen Senat ist mittlerweile in vollem Gange. Zwei der zwölf Senatorensessel (Dohnanyi wollte 15, mußte sich aber auch hier der FDP beugen) werden von den Liberalen besetzt. Welche und von wem, ist noch unklar. Sicher ist nur, daß die parteilosen Senatoren Helga Schuchardt (Kultur) und Klaus Michael Meyer–Abich (Wissenschaft) gehen müssen. Ihre Ressorts sollen zusammengelegt und von einem Freidemokraten verwaltet werden. Axel Kintzinger
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