: Wieder alte Phrasen
■ Betr.: „Aktionistische Hektik nach dem Massaker von Sarajevo“ von Reinhard Mutz, taz vom 9.2.94
[...] Die Meinung der bosnischen Bevölkerung, die einzig und allein von der Not betroffen ist, scheint nicht zu zählen. Wir haben genug von westlichen Intelligenzlern, die unseren Untergang modellieren möchten. Von den 30 UNO-Resolutionen, die angeblich für die Rettung des Staates Bosnien-Herzegowina verabschiedet wurden, ist nur eine verwirklicht worden, und zwar das Waffenembargo. Demzufolge ist es kein Zufall, daß nun die bosnische Bevölkerung, der eigentlich geholfen werden sollte, unter den Beschlüssen der UNO leidet. Es ist kein Zufall, daß die Bosnier den Vertreibungen, den Massakern, dem Hungertod, der Ausrottung ausgesetzt sind. Die UNO schuldet uns einen militärischen Eingriff, nachdem sie diesem freilaufenden serbischen Ungeheuer die Bosnier zum Fraß vorwarf. [...] Kielsmansegg hat uns einen vernünftigen und realisierbaren Versuch geschildert (taz vom 3.2.94), wie die Bosnier aus den Klauen des Ungeheuers zu retten sind.
Wer ist nun bitte Reinhard Mutz, der nur Kritik üben kann, aber keine Alternative vorschlägt? Wieder alte Phrasen: „das Gemetzel würde gesteigert werden“ – das Gemetzel an der bosnischen Bevölkerung reicht nicht aus, um zu handeln, und wie schrecklich wäre der Gedanke, daß dies nun ein Ende haben könnte. Wie unpassend wäre es, wenn das Ungeheuer, das ja den Bösen spielen soll, zur Einsicht kommt. Man hat sich ja schon daran gewöhnt.
Aber wir Bosnier nicht! Wir können uns nicht an Vertreibungen, Hunger, Vergewaltigungen, Massaker und Tote gewöhnen, denn wir sind die Vertriebenen, Vergewaltigten, Ausgehungerten und Massakrierten. Deshalb laßt uns entscheiden, wie wir dieses Leiden beseitigen können. Wir brauchen weder die UNO noch Vorschriften von Leuten wie Mutz. Laßt uns alleine mit unserem Schicksal. Und vergeßt nicht, all eure Blauhelme und Resolutionen mitzunehmen; sie haben uns sowieso nicht geholfen. Wir als Angegriffene haben das Recht auf Leben, auch wenn es euch nicht paßt. Dzevada Garic, Studentin der
Universität Hamburg
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