: Wie von schlechter Geisterhand
■ Uraufführung von Gert Jonkes »Sanftwut...«
Ludwig van war der Erfinder der concept art. Welcher dünnbrettbohrende Performer das in epigonaler Dumpfheit bestreiten will, soll sich die pianistenmordende Hammerklaviersonate op. 106 vornehmen und versuchen, sie angemessen hörbar zu machen. Dieser völlig abstrakten Klangwelt, die sich nur zufällig und absolut behelfsmäßig der Schriftzeichen der Klaviersprache bediente, dürfte wohl nur ein einziges Instrument in vollem Umfang je gerecht geworden sein: der Körper seines genialen Erfinders.
Denn während monströse Ohrenmaschinen dem tauben Alten dazu dienten, das schwächliche Quieken seiner Umwelt wahrzunehmen, genügte dem genialen Tonsetzer sein von Musik beseeltes Inneres, um zu musikalischen Höhenflügen anzusetzen, denen keine Materie standhalten konnte (und wohl immer noch nicht kann).
Keine Tasteninstrumente, keine Computer, keine sich veräußernden Sprachen — schon gar nicht die verbaler Hilflosigkeit — sind dazu in der Lage. Gert Jonke aber möchte der Erfinder der Theater-Sonate sein; so zumindest untertitelt er seinen Text Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist, der jetzt im Kreuzberger Proberaum der Schaubühne von Klaus Metzger in Szene gesetzt wurde. Dabei herausgekommen ist allerdings keine neue Performance-Erfindung, sondern eine mit komödiantischen Mitteln aufgelockerte theoretische Abhandlung über das Geheimnis Musik. Trotz aller Wortneuschöpfungen und punktlos ausufernder Satzkaskaden scheitert das Unternehmen an der penetrant argumentierenden Rationalität der Sprache, mit der Jonke seine Wortführer ausgestattet hat. Das Unsagbare und Unhörbare findet keinen neuen instrumentenähnlichen Corpus, sondern wird geradezu erbarmungslos im Dialog zwischen Ludwig, seinem Adlatus Anton Schindler und seinem Maler Ferdinand Waldmüller zur Hör- und Sichtbarkeit erniedrigt.
Zu allem Überfluß spielt ein computergesteuerter Flügel wie von schlechter Geisterhand die nur dem ertaubten Beethoven hörbaren Tonfolgen seiner immateriell schwingenden Musik. So bekommt das Publikum nicht geheimnisvolle Urklänge, sondern die etwas ruppig klingende Interpretation David Levines vermittelt — ein sehr profaner, jedem Zauber abholder Eindruck. Ürbig bleibt, was der verzweifelte Beethoven zu Recht mutmaßen darf: Man muß dem Publikum immer etwas vormachen, damit es auch daran glaubt, etwas zu bekommen. Und so gibt es aller Theoriespröde zum Trotz ein bravouröses Komikerpaar zu bewundern: Peter Fitz und Hans Diehl geben als hörgeschädigter, greinender Menschenverachter und als gequält-serviler Bewunderer des Genies hinreißende Variationen einer Meister-Schüler- Beziehung, die die Momente knarziger Gemeinsamkeit und wechselseitigen Nichtverstehens doch noch zum sinnlichen Ereignis werden lassen.
Ein auf Schauspielerart ausgetragener Konflikt zwischen hybrider Kunstidee und wahrnehmbarer Theaterwirklichkeit. Ohne die körperliche Präsenz dieser beiden ausgebufften Profis würde der Abend zu einem wortreichen Nichts zerfallen. Mancher Premierenzuschauer aber nahm die Darbietung ernster, als sie war und machte hier und da ein kleines Nickerchen, um sich ganz auf die nachhaltige Innenschau des eigenen Körpers zu besinnen; womöglich war auch ein Genie darunter. baal
Cuvrystraße 7, Berlin 36, am 23., 26., 27. und 30.10 jeweils 20 Uhr
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