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Archiv-Artikel

Wie ich einmal auspackte

Die Wahrheit-Wochen der kleinen Verbrechen. Heute: Meine Karriere als Dealer (1)

Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, empfing mich meine Mutter mit den Worten: „Jetzt weiß ich, warum du so deppert rumläufst und nix mehr sagst. Du nimmst Rauschgift. Gib’s zu! Na warte, das sag ich Papa, wenn er heute Abend heimkommt.“ So lächerlich heute die Drohung klingt, damals gingen sämtliche Warnlichter an und Panik breitete sich aus. Mein Alter hatte zwar nur noch einen Arm, den anderen hatte er in Stalingrad gelassen, aber mit einem Kleiderbügel konnte er ganz gut umgehen. Auch auf die anderen zu erwartenden Sanktionen hatte ich keinen Nerv. Ich fühlte mich sowieso zu Höherem berufen. Ich würde die Kurve kratzen und mich irgendwie durchschlagen. Genau. Als Dealer. Prima Idee. Ich stellte mich an die Autobahn und hielt den rechten Daumen in den Wind.

In Frankfurt lernte ich tatsächlich einen Dealer kennen. Der hieß Zappo und fuhr einen Citroën DS. Ich durfte bei seinen Ausflügen auf der Beifahrerseite sitzen und die gepressten Haschischplatten hervorholen, die unter der Fußmatte lagen, um sie auf der Fahrt den schwarzen GIs zu reichen, die auf der Rückbank saßen und das Zeug begutachteten. Dem Citroën kamen die Jungs vom RD (Rauschgiftdezernat) nicht hinterher. Tolles Leben, dachte ich, so mach ich das jetzt auch. Aber das dumme, normale Leben gab es leider auch noch. Von meinem Bruder, der letzten Verbindung nach Hause, erfuhr ich, dass meine Eltern eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatten. Jetzt suchte die Polizei nach mir, und das war Zappo zu heiß, auf den die Bullen sowieso schon ein Auge geworfen hatten. Also gab er mir das Startkapital für meine Dealerkarriere: 20 gr. eines grünlichen, sehr leichten Geflechtes, das nicht besonders törnte, und sechs Trips, deren Qualität ich noch nicht getestet hatte.

Mit dieser Beute kehrte ich zurück. In meiner Naivität dachte ich, dass sich die Vermisstenanzeige erledigt hätte. Ich rechnete nicht damit, dass plötzlich Bullen aufkreuzen und unangenehme Fragen stellen könnten. Aber genau das taten sie, kaum dass ich das Haus betreten hatte. Meine Mutter hatte in ihrer Panik ihren Verdacht ausgeplappert, dass Rauschgift im Spiel sein könnte, und da wurde die Kripo plötzlich sehr hellhörig. Rauschgift? Wehret den Anfängen! Gammler und all diese Krawallmacher, die überall am Start waren und Ärger machten, würden in unser schönes Städtchen einfallen und die Jugend verderben. Das musste verhindert werden.

Die zwei Beamten, die also plötzlich vorfuhren, erhöhten meinen Adrenalinausstoß gewaltig. Wohin mit dem Zeug? Ich stopfte es schnell in meinen Schulranzen, und dann standen sie auch schon bedrohlich vor mir und wollten erstens wissen, warum ich abgehauen sei, und zweitens, wo ich mich die Woche über herumgetrieben habe. Pah, mit den Bütteln des Staates rede ich nicht, und überhaupt ginge sie das gar nichts an.

„Kein Problem“, sagte einer der beiden zu mir, und zu seinem Kollegen: „Durchsuch du sein Zimmer, ich knöpf mir inzwischen das Bürschchen vor.“ Dumm gelaufen. Ich wusste nicht, dass die beiden einen Hausdurchsuchungsbefehl benötigt hätten. Ich wurde plötzlich sehr gesprächig, um meine Kooperationsbereitschaft unter Beweis zu stellen, während sich bei mir alles zusammenkrampfte bei der Vorstellung, der Kollege könnte fündig werden, was nicht allzu schwierig sein dürfte, und triumphierend durch die Türe marschieren. Endlich hatte ich den Bullen so weit davon überzeugt, dass alles doch ganz harmlos war. „Warum nicht gleich so“, sagte er ein wenig enttäuscht, aber irgendwo doch noch an das Gute in mir glaubend, „dann blasen wir die Sache mal ab.“ Und genau in diesem Moment kam sein Kollege herein: „Guck mal, was ich gefunden habe.“

„Auf so einen Vogel wie dich haben wir hier schon lange gewartet.“ Jede Freundlichkeit in seiner Stimme war verflogen. Auf dem Revier im Rathaus nahmen sie mich in die Mangel. „Na, dann pack mal aus. Woher hast du das Zeug?“ Ich hielt eisern die Klappe. Niemals würde ich meinen Freund Zappo an die Bullenschweine verpfeifen. Niemals! Jetzt aber zeigten die Jungs, was in ihnen steckte. Jetzt konnten sie böser Bulle, guter Bulle spielen. „Wenn du deine verdammte Fresse nicht aufmachst, dann wirst du in den Knast gesteckt. Und da kommst du so schnell nicht mehr raus.“ Dabei packte mich der böse Bulle am Kragen, zog mich vom Stuhl hoch und brüllte mich an.

Dann der gute Bulle: „Willst du wirklich dein Leben verpfuschen? Du bist doch noch jung! Sag uns, von wem du die Drogen hast, und wir lassen dich sofort wieder laufen.“ Ich will nichts dramatisieren, aber die Vorstellung, im Knast zu landen, war derart deprimierend, dass ich mit den Tränen zu kämpfen hatte. Jeder, der ein bisschen Bescheid wusste, hätte sich schlapp gelacht über die goldigen Einschüchterungsversuche, aber ich hatte keine Ahnung, dass diese Männer hinter dem schäbigen Schreibtisch nur blufften. Die Schweine hatten mich am Arsch, ich war fertig mit der Welt, nein, ich wollte mein Leben nicht verpfuschen, ich wollte nicht für den Rest meines Lebens eingelocht werden. Huhu!

Innerlich gebrochen von zwei mittelmäßigen Polizeidarstellern, packte ich aus. Nur gut, dass ich nicht viel auszupacken hatte, außerdem versuchte ich, so nebulös wie möglich zu bleiben. Etwas Verwertbares für den Prozess gegen Zappo, der irgendwann später verhaftet wurde, kam offensichtlich nicht heraus, jedenfalls wurde ich nicht als Zeuge berufen. Wahrscheinlich hatte man auch so genug belastendes Material gegen ihn, so dass sie auf meinen Senf nicht angewiesen waren. Aber das sagten die in der DDR ja auch immer. KLAUS BITTERMANN