: Wie Obdachlose für einen Coup herhalten mussten
FAKE Shitstorms auf Bestellung? Eine Geschichte sorgt für Aufregung. Nur stimmt sie nicht
Doktortitel kann man kaufen und Berufsdemonstranten – warum also nicht auch Shitstorms? Das jedenfalls behauptete unlängst die Werbeagentur „Caveman“ auf ihrer Website. Shitstorms – also böse Kommentarwellen auf den Social-Media-Profilen ungeliebter Marken und Anbieter – seien ab 4.999 Euro im Angebot.
Auf Nachfrage erklärte „Caveman“-Geschäftsführer Oliver Bienkowski der taz am Donnerstag, wie diese Empörungswellen zustande kämen: Obdachlose – die der CEO seine „Partner“ nennt – bekämen Kost, Logis und freien Internetzugang gestellt. Im Gegenzug follow- ten, likten und kommentierten sie dann, auf freiwilliger Basis, von mehreren Profilen aus gleichzeitig in sozialen Netzwerken. Dabei werde auf Moral geachtet – auf dem Markt verschiedener Shitstorm-Anbieter seien die „Caveman“-Leute „die humanitären Guten unter den Bösen“.
Das klang nach einer guten Geschichte; wir wollten sie aufschreiben, hatten aber noch Zweifel: Bienkowski ist schließlich Fachmann für Werbegags. Seine Antworten gingen meist haarscharf an der Frage vorbei und lenkten das Thema auf seine eindeutig gute Absicht: „Hauptsache, den Obdachlosen wird geholfen.“
Die Agentur und deren Adresse gab es wirklich. Ob sie tatsächlich Obdachlosen helfen wollte und ob der Shitstorm-Verkauf bereits echte Kunden angelockt hatte, war aber nicht belegbar. Außerdem weigerte sich Bienkowski, Näheres preiszugeben, zum Schutz der Klienten und weil die genauen Schauplätze „zurzeit ein TV-Sender exklusiv“ beanspruche.
Exklusivrechte, das Zauberwort. Klar wollten wir darüber berichten, bevor es im Fernsehen lief. Und kamen dann doch zu spät. Einige Zeitungen, darunter die Süddeutsche, berichteten schon über das Thema. Auch auf taz.de gab es eine Notiz. Am Freitag, nachdem Bienkowski den gewünschten Medienwirbel erzeugt hatte, veröffentlichte er dann auf der Agentur-Website die „Auflösung“ der Geschichte und bekannte sich zur gelungenen Medienmanipulation: „68.000 Euro Image und Markenwerbung gespart – so viel kostet eine Seite Werbung in der Süddeutschen Zeitung“, freute sich der PR-Profi über den gelungenen Coup: „Wir bedanken uns bei allen Medienverlagen und Onlineredaktionen, das [sic!] Sie dem Thema Obdachlosigkeit für kurze Zeit einen Platz in der Berichterstattung eingeräumt haben.“ Im Gegensatz zu Unternehmen hätten Gruppen am Rande der Gesellschaft keine große Lobby.
„Ich halte das für einen großen Quatsch“, kommentiert Werena Rosenke, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Dass sich die Werbeagentur mit einer ausgedachten Geschichte für Wohnungslose stark machen wolle, hält sie für ein vorgeschobenes Argument für deren Eigenwerbung. „Ich finde es nicht in Ordnung, Wohnungslose dafür zu benutzen“, empört sich Rosenke. Denn durch die verkürzte Darstellung des Themas entstehe nun ein falsches Bild des eigentlichen Problems: „Als müsse nur ein Wohltäter kommen und den Leuten eine warme Suppe hinstellen.“ So einfach sei Wohnungslosigkeit nicht aus der Welt zu schaffen.
Was die Düsseldorfer Bahnhofsmission davon hält, deren Foto Bienkowskis Agentur-Website schmückt, können wir nur vermuten: die Hilfsorganisation will sich dazu nicht äußern. Auf weitere Medienpräsenz scheint sie zumindest nicht aus zu sein.
MARLENE STAIB