: Wie „Kraftwerk“ mit Geigen
■ „Freispiel“ im Modernes: ein wirrer Session-Dokfilm nebst zartem Live-Konzert
Im November '93 tummelten sich vierzig deutsche und internationale MusikerInnen, die zum einen oder anderen Zeitpunkt mehr oder weniger der Rock- und Pop-Avantgarde zuzurechnen waren, im Kölner Stadtgarten. Es waren unter anderem Mitglieder der „Einstürzenden Neubauten“, „Killing Joke“, „DAF“ und „Ultravox“. Gefolgt waren sie dem Ruf des Regisseurs Burkhard Steger und des Produzenten, Musikers und Autors Arno Steffen. Die beiden wollten die unterschiedlichen Talente dazu bewegen, gemeinsam und ohne Vorgabe etwas zu schaffen, das sich nach Musik anhörte. Der Schaffensprozeß wird in Stegers Film „Freispiel“ dokumentiert, der morgen im „Modernes“ zu sehen ist und am Sonntag mit einem Konzert der „Tuxedomoon“- bzw. „Ultravox“-Mitglieder Blaine Reininger und Bill Currie vorgestellt wurde.
Für einen Dokumentarfilm erklärt „Freispiel“ leider wenig. Man sieht die MusikerInnen im kalten Köln ankommen und ihre Instrumente auspacken, man hört sie bei eigenbrödlerischen Soundchecks, und überraschend schnell wird aus dem vermeintlich ziellosen Getöne immer wieder handfeste, treibende Musik. Gesprochen wird selten, und das scheint den Machern auch nicht wichtig zu sein. Wird anfangs noch brav untertitelt, wenn jemand etwas Fremdsprachiges sagt, verzichtet man später einfach darauf. Gelegentliche Off-Kommentare beschränken sich auf nichtssagende Phrasen wie: „Wieder ein leerer Raum. Der ideale Ort, um vor die Hunde zu gehen.“ Die MusikerInnen scheinen sich aber dort wohl zu fühlen. So verstehen sich die kauzigen Urban-Romantiker „Element of Crime“ am besten mit dem kauzigen Urban-Romantiker Tom Mega, und F. M. Einheit von den „Einstürzenden Neubauten“ hat dem konventionellen Musizieren ebenso abgeschworen wie Ulrike Haage, die einst durch ihren Beitritt bei den „Rainbirds“ aus einer passablen Popband eine kunstgewerbli-che Zumutung machte.
Frau Haage bespielt längst nicht mehr die Tasten ihres Pianos, sondern geht lieber gleich mit Fingern, Schraubenzieher und Pingpong-Bällen an die Klaviersaiten. Und zwar am liebsten, wenn F. M. Einheit dazu Mauerwerk über Blech zerbröselt. Die „Rainbirds“ als Komplettpaket hatten zwar abgesagt, aber ein vorproduziertes Tape geschickt. Das freute F. M. Einheit so sehr, daß er sich gleich Hammer und Bohrmaschine holte, um auch größere Steine kaputtmachen zu können.
Weniger experimentell gestaltete sich das Konzert, das dem Film folgte. Vorwiegend an den Violinen gaben sich die Herren Reininger und Currie zu elektronischen Playback-Beats die Ehre. Obwohl das „Modernes“ erschütternd schlecht besucht war, waren die Musiker, die im Film eher mürrische Mienen machten, guter Dinge. Sie bekamen heftigen Applaus für ihre flapsige Art, oft kopflastige und introvertierte Musik amüsant zu präsentieren. In den ruhigeren Passagen klangen sie wie „Kraftwerk“ mit Geigen, in den schnelleren etwas unglücklich nach „Rondo Veneziano“. Ob die „Kraftwerk“-Ähnlichkeit allerdings tatsächlich Verdienst des „Freispiel“-Gastes Karl Bartos ist, ist fraglich. Er huscht im Film zwar kurz durchs Bild, aber seine einzige Erwähnung im Beiheft ist eine Bildunterzeile: „Karl Bartos, früheres Mitglied der legendären Düsseldorfer Elektronik-Pop-Pioniere Kraftwerk, sitzt im Foyer des Hotel Esplanade und trinkt Coca-Cola.“
Andreas Neuenkirchen
„Freispiel“, nur Film, morgen um 20 und 22.30 Uhr im „Modernes“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen