Widerstand gegen NS-Gedenkstätte: Der Blick zurück ist unerwünscht
In Emmerthal wächst der Widerstand gegen einen Gedenkort an die Erntedankfeste der Nazis. Dabei gehen Lokalpolitiker*innen auch mal Seite an Seite mit der AfD.
Jetzt soll rund um den Feldweg, der einmal Weg zur Ehrentribüne war, ein Dokumentations- und Lernort entstehen. Es soll die Selbstinszenierung und das Verführungspotential des Nationalsozialismus sichtbar machen. „Das Gelände soll lesbar gemacht werden“, sagt Bernhard Gelderblom vom Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte.
Doch der Widerstand gegen eine solche Aufarbeitung wächst. Der Historiker Gelderblom, der sich schon seit über 20 Jahren mit der Geschichte des Nationalsozialismus im Raum Hameln beschäftigt, erzählt, dass die Anfeindungen zugenommen hätten: „Die Drohanrufe und Hassschreiben schlagen einen ernüchternden Ton an“. Da höre man auch, „dass die Juden Rache üben wollten“. Er selbst werde „wie ein Feind“ behandelt.
Auf politischer Ebene spielte der jüngste Akt der Ablehnung im Gemeinderat von Emmerthal: Dort fand am 22. Februar ein Antrag zu einer Bürgerbefragung die notwendige Mehrheit. Den Antrag hatte die AfD auf die Agenda gesetzt. Die Fraktionen von CDU und Freien Wählern Emmerthal stimmten zu. Dass die AfD den Antrag formuliert hat, störte beide Fraktionen nicht. „Wenn die AfD den Antrag nicht gestellt hätte, hätten wir ihn gestellt“, sagt der CDU-Fraktionschef Rudolf Welzhofer.
Die Provokation des Beschlusses: Der Rat ist gar nicht zuständig. Er kann nach einer Bürgerbefragung nur eine entsprechende Resolution verabschieden.
Ein geschwungener Grasweg soll auf dem Areal entstehen mit acht Informationsinseln, die über die NS-Ideologie und die Propagandastätte informieren.
Die Baukosten liegen bei etwa 450.000 Euro. Über die Hälfte davon tragen Stiftungen.
Eine Ausstellung zu den Reichserntedankfesten ist derzeit im Freiraum Hameln zu sehen
Das Gelände, das Hitlers Architekt Albert Speer zu einem etwa 800 mal 240 Meter großen Festplatz umgestaltete, gehört dem Land und steht seit Ende 2010 unter Denkmalschutz. Die geplante Dokumentationsstätte soll ein Verein betreiben, die nötigen Gelder kommen vom Landkreis und Stiftungen. In der Gemeinde wird dennoch über Folgekosten geklagt und man fürchtet, zum Wallfahrtsort für „Ewiggestrige“ zu werden.
In der Bundesrepublik ist bisher jedoch keine NS-Gedenkstätte zu einer Pilgerstätte von Rechtsextremen geworden. Die zieht es eher zu Kriegsdenkmälern und Soldatenfriedhöfen. Die „Initiative Bückeberg“ hat dennoch über 2.000 Unterschriften gegen ein Lern- und Dokumentationsort zusammenbekommen.
Ernst Nitschke von den Freien Wählern berichtet stolz, allein 750 Unterschriften gesammelt zu haben. Die BefürworterInnen eines Gedenkortes halten die Aktion für Effekthascherei. „Die Bürgerbefragung hat rein demonstrativen Charakter“, sagt etwa Bernhard Gelderblom.
Die Debatte erweckt den Eindruck, als ob vor Ort niemand mit den Anwohnern geredet hätte. Doch die Diskussion läuft seit Jahrzehnten – bei Infoveranstaltungen, Führungen, pädagogischen Workshops und Fachtagen. In der Planung wurden die Anwohner miteinbezogen, am Konzept wurde auch nach Anmerkungen etwas geändert, erklärt Gelderblom. Und schiebt hinterher, dass sich die Auseinandersetzung seit November letzten Jahres verschärft hätte.
Eine politische Zeitenwende
Die ablehnenden Reaktionen kann man als Seismograph für eine politische Zeitenwende betrachten. Nach 70 Jahren müsse das doch nicht mehr sein, genug sei genug: Das ist der Ton, den am lautesten und offensten die AfD bei der Erinnerungspolitik anschlägt.
In Emmerthal überlegte die Gemeinde in der Vergangenheit bereits, die NS-Spuren zu verwischen. Nahe der geplanten Gedenkstätte entstanden in den 1970er-Jahren entlang der von Speer mitgeplanten gepflasterten Straße Einfamilienhäuser, eine komplette Bebauung des Geländes wurde erwogen.
An den damaligen Hameler Landrat und Emmenthaler Bürgermeister Karl Heißmeyer erinnert sich Gelderblom gut. Der SPD-Politiker wohnte in der Nähe und „wollte hier gar nichts“. „Er wollte, dass man das alles vergisst.“ Bis heute komme der Widerstand aus der gut situierten Ansiedlung, sagen der Hamelner Landrat Tjark Bartels und Emmerthals Bürgermeister Andreas Grossmann – beide in der SPD.
Aber nicht nur Gelderblom, Bartels oder Grossmann wollen in der Region zum Nachdenken über Wirkungsmacht von Glorifizierung anregen. Die Fachgruppe Geschichte der Schulen im Landkreis Hameln-Pyrmont ruft die Kreistagsmitglieder auf, „für das historisch-topografische Informationssystems“ zu stimmen. Denn die meisten Gedenkstätten würden die Verbrechen dokumentieren, aber könnten nicht die Begeisterung der vielen Menschen am Nationalsozialismus vergegenwärtigen.
Eine Leerstelle füllen
„Die Geschichte der Reichserntedankfeste kann für die zeitlose Verführbarkeit sensibilisieren, die von Gemeinschaftsbeschwörung, Überlegenheitsgefühl und Aggressivität entsteht“, heißt es in der Erklärung der Fachgruppe vom 14. Januar dieses Jahres.
Tatsächlich kann eine Dokumentation am Bückeberg genau diese Leerstelle füllen. Historische Aufnahmen ließen die Menschen wie berauscht erscheinen, so beschreibt es Bernhard Gelderblom. 1933 kamen 500.000 Menschen zum Bückeberg, 1937 waren es gut 1, 2 Millionen und, anders als bei anderen NSDAP-Veranstaltungen, waren es eben nicht nur Parteigenossen. Man sang völkische Lieder, führte Volkstänze auf. Das Ereignis wurde live im Radio übertragen.
Noch heute finden sich auf der Wiese Fundamente der oberen zwei Tribünen, auf der etwa 3.000 Personen Platz fanden. Von unten stieg Hitler durch das Volk nach oben. „Der Weg war das zentrale Ritual“, sagt Gelderblom. Während bei den monumentalen Feiern auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände die heroische Einsamkeit des Führers inszeniert wurde, zelebrierte das Regime auf den Bückeberg den geliebten Kanzler des Volkes.
Am 13. März entscheidet der Hamelner Kreistag über die Gründung und finanzielle Ausstattung des Dokumentations- und Lernortes. AfD und CDU haben Gegenanträge gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste