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Archiv-Artikel

Widerstand gegen Eventkultur

Bei der Tagung „Kunst Werte Gesellschaft“ in der Akademie der Künste wurde am Wochenende über die Überhitzung des Kunstmarktes, die Krise der Kunstvereine und ganz allgemein das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit diskutiert

Die Kunstvereine in der Krise, die Eventkultur auf dem Vormarsch: Wer vermittelt noch zwischen Kunst und Öffentlichkeit?

VON MARTIN CONRADS

Manche Mäuse beginnen zu tanzen, wenn sie die Katze bemerken, die ihnen auflauert. Gefressen werden sie doch. Was man für Verzögerungstaktik oder ein Ablenkungsmanöver halten könnte, hat einen verblüffenden Grund: Im Gehirn der Maus sitzt ein Wurm, der als Parasit in den Darm der Katze gelangen will. Diese Anekdote, die der Künstler Olaf Nicolai vor mehreren hundert Kunstvereinsleitern, Künstlern, Kritikern, Kuratoren und anderen Kulturarbeitern zum Besten gibt, war nach drei Tagen intensiven Diskutierens und Präsentierens die anschaulichste Metapher für das Symptom einer diagnostizierten Krise.

Denn bei „Kunst Werte Gesellschaft“, einer Tagung, die am vergangenen Wochenende in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg stattfand, sollte es um nicht weniger gehen als um die „Zukunft öffentlich geförderter Kunst“.

Angesichts einer explodierenden Ökonomisierung des Kunstfeldes, die Symbolwert und Marktwert von Kunst zunehmend gleichsetzt, seien die programmatischen Anforderungen von nichtkommerziellen Institutionen wie den Kunstvereinen mit deren wirtschaftlichen Zwängen kaum noch in Einklang zu bringen. Nicht zuletzt durch den kulturpolitischen Druck, der vom Vormarsch von Großausstellungen ausgehe, seien Non-Profit-Kunstinstitutionen und vor allem kleinere Kunstvereine in Deutschland in eine Situation geraten, in der der „gesellschaftliche Begriff“ von zeitgenössischer Kunst neu positioniert werden müsse. Der boomende Kunstmarkt, fehlende Ankaufetats der Museen und das zunehmende Gewicht von Sammlermuseen und privatwirtschaftlicher Förderung täten ein Übriges.

Eingeladen von der Kulturstiftung des Bundes und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) als Dach- und Fachverband der nichtkommerziellen Kunstvereine in Deutschland präsentierten und diskutierten Vertreterinnen und Vertreter des Kunstbetriebs, wie mit der aktuellen Situation umzugehen sei. Mit dem Thema befand man sich dabei in guter Gesellschaft, denn gleichzeitig wurde, wie der Künstler und Münchner Akademieprofessor Stephan Dillemuth in seinem performativen Vortrag erwähnte, in der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema „Kunst nach Geld?“ getagt, während die Publikumszeitschrift art in ihrer aktuellen Ausgabe die deutschen Kunstvereine als „Trendforschern der Nation“ auf dem Titel hat.

Dazu die Zeitungsmeldungen der letzten Tage: Ein Bild des englischen Malers Lucien Freud stellte in einer Auktion mit 30 Millionen Dollar einen neuen Rekord für das Werk eines lebenden Künstlers auf, und der Direktor des Picasso-Museums in Barcelona erklärt, dass ihm die Anzahl der Besucher schlichtweg egal ist. Da war die Frage klar umrissen: Bleiben nur die Kunstvereine als Vermittler, wenn der Kunstmarkt überhitzt ist?

Nicht wenige im Publikum wunderten sich darüber, dass die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung, Hortensia Völckers, von einem dem Bildungsauftrag von Kunstvereinen geschuldeten „Widerstand“ sprach, den es der „Eventkultur“ gegenüberzustellen gelte. Denn auch wenn die Stiftung nach eigenen Angaben im letzten Jahr 3 Millionen Euro für die Förderung von Kunstvereinen ausgab, machen es die seit August 2007 geltenden neuen Fördergrundsätze vor allem kleineren Kunstvereinen unverhältnismäßig schwerer, Fördergelder überhaupt noch zu beantragen. Die sehen nämlich vor, dass die Mindestantragssumme für Projekte bei 50.000 Euro liegt und die gesicherte Kofinanzierung 20 Prozent betragen muss. Gleichzeitig werden potentere Kunstvereine in die Lage versetzt, umfangreiche Ausstellungen zeitgenössischer Künstler im Retrospektivenformat zu veranstalten – wie die vom Württembergischen Kunstverein initiierte und dort sowie in der Staatsgalerie Stuttgart gezeigte Stan-Douglas-Ausstellung jüngst demonstrierte.

Dadurch jedoch wird nicht nur der Abstand kleinerer Non-Profit-Häuser zu den größeren Kunstvereinen immer offensichtlicher, sondern gleichzeitig wachsen auch die Ansprüche, die Vorstände und Mitglieder an die Künstlerischen Leiter richten. Oft genug fordern sie, dass der lokale Kunstverein bei gleichzeitiger Mittelkürzung mit den globalen Entwicklungen mithält.

Dass Letzteres auch der Effekt einer den Kunstvereinen immer häufiger aufoktroyierten Rolle im Stadtmarketing ist, war eine Beobachtung, auf die sich viele der Vortragenden einigen konnten. Stephan Schmidt-Wulffen, Rektor der Kunstakademie Wien, kritisierte in seinem Vortrag die Verlagerung vom Kunstwerk zum öffentlichen Schauspiel. Er zeigte das am Beispiel der Entwicklung Olafur Eliassons vom Künstler zum Unternehmer. Stephan Dillemuth sprach von einer „neuen Ehrlichkeit“, die darin bestehe, dem Hype um zu Kunstzwecken gentrifizierte Stadtteile mit dem ebenso fragwürdigen Hype einer Kritik darüber zu begegnen, während gleichzeitig Kunstmarkt und Finanzmarkt sich angleichen.

Allerdings waren weder Galeristen noch Vertreter des Stadtmarketings oder solche der viel diskutierten Kreativwirtschaft da. Darüber zu streiten, ob ihre Anwesenheit der Veranstaltung gutgetan hätte, ist angesichts der Vielzahl von Podien, die sich auf jeder Kunstmesse besuchen lassen, müßig. Weder die gerade zurückgetretene Leiterin der Art Basel, Cay-Sophie Rabinowitz, noch der bei seinem Auftritt derangiert wirkende Hamburger Sammler Harald Falckenberg taten, wofür sie eigentlich besetzt waren: nämlich Bedrohungsszenarien gegen die öffentliche Hand zu formulieren. Das sprach für die von Schmidt-Wulffen vorgebrachte These, nach der die gefühlte Ökonomie des Kunstbetriebs größer sei als die tatsächliche. Lediglich die Bemerkung von Falckenberg, es sei der Markt, der heute die Bewertung der Kunst vornehme, ließ sich mit der vor allem von Tagungsinitiatorin Leonie Baumann (NGBK) eingebrachten Position, dass der eigentliche Wert von Kunst kein ökonomischer sein kann, nicht in Übereinstimmung bringen.

Dem Künstler Andreas Siekmann verdankte die Veranstaltung schon früh die Forderung, dass neben dem Symbol- und dem Marktwert von Kunst auch dessen durch PR-Agenturen erwirtschafteter Kommunikationswert mitbedacht werden müsse. So wurde wenigstens im Abschlusspanel endlich auch darüber gesprochen, dass im Zeitalter, in dem die bürgerliche Erfindung der Kunstvereine in eine Krise geraten ist, im Hinblick auf Kunstproduktion und -vermittlung auch der Öffentlichkeitsbegriff neu zu denken sei. Die Vermittlungsarbeit von Kunstvereinen und Non-Profit-Kunstorganisationen, so Olaf Nicolai, wäre dementsprechend keine gesamtgesellschaftliche mehr, sondern eine des Ausschlusses. Als Nicolai unvermittelt von „Abschieberäumen auf Flughäfen“ sprach, flackerte tatsächlich für einen Moment eine Vorstellung von „Gesellschaft“ auf. Die Würmer im Gehirn der Tagung blieben aber die Kunst und ihre Werte.