■ Wider die neuen Ethno-Theoretiker und ihre „Problemlösung“ für den Krieg im ehemaligen Jugoslawien: Kein Frieden durch Apartheid
Zum zweiten Mal hat jetzt an prominenter Stelle ein deutscher Intellektueller gefordert, die Lösung des Bosnienkrieges in der organisierten Gruppentrennung, also in der Apartheid zu suchen. Zuerst war es der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel im ZDF (13. Juli 1995), jetzt Eberhard Rondholz in der taz.
Zunächst Czempiel: „Wir müssen eine Problemlösung finden, die diese Ethnien, die offenbar nicht zusammen leben können, nicht dazu zwingen, zusammenzuleben. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir diese Völkerstämme, für eine Weile jedenfalls, mal trennen ... Warum sollten wir in Bosnien nicht dasselbe probieren [wie die Massenvertreibung der Deutschen 1945; F.D.]: also die Völkerstämme, die auseinanderrücken wollen und wohl auch auseinandergerückt werden müssen [Hervorhebungen F.D.], ökonomisch für die Leiden zu kompensieren, die einige von ihnen durch den Heimatverlust erleiden.“
Das wurde kühl in die Kamera geredet, nach drei Jahren Geiselnahme von Hunderttausenden Bürgern in Sarajevo, in den Enklaven Bihać, Srebrenica und Žepa. Jetzt ist Bihać offen, aber die Bürger von Srebrenica und Žepa sind das, was Rondholz für unvermeidlich hält: „ausgesiedelt“.
Dieser ganze Krieg scheint seit dem ersten Tag mit keinem anderen Zweck geführt worden zu sein. Es war Trennungsterror von Anfang an. Die Kriegsziele werden also nun von Rondholz und Czempiel unter „zivilisierteren Bedingungen“ noch einmal bestätigt.
Seit den verunglückten Landkarten des Vance-Owen-Plans geistert die alte Hoffnung auf den Apartheid-Frieden durch die aufgeklärten Hirne. Kurz nach Vorlage des Owen-Plans 1994 erklärte mir der kroatische Bürgermeister der kleinen Stadt Chaplinja, warum nun die etwa 4.000 muslimischen Bürger in ihrer Stadt nichts mehr zu suchen hätten. „Die gehören nicht hierher.“ Er berief sich auf den Owen-Plan. Jedes politische oder wissenschaftliche Argument für die „zivile“ Trennung beschleunigt und verlängert den Vertreibungsterror. In der Regel kann, wer jetzt Apartheid befürwortet, sein Argument durch die Wirklichkeit beweisen. Wie der Lügner, der behauptet, ein bestimmter Mensch lebe nicht mehr, und ihn hernach umbringt, und dann zwar ein Mörder, aber kein Lügner mehr ist. (Das Beispiel stammt von Hanna Arendt.) Die neuen Apartheid- Aufklärer haben immer recht, sie können sich sogar jetzt auf den Zulu-Führer Buthelezi berufen, der wieder gegen Mandela hetzt. Nur, in Südafrika hat die Apartheid nicht funktioniert, obwohl die Bantustans wahrlich historisch, ethnisch und der Sprache nach sehr viel weiter voneinander entfernt waren als die Religionsgruppen Bosniens.
Der zivile Frieden ist nur dort zu schaffen, wo es ein ziviles überreligiöses und übervölkisches Rechtssystem gibt, das die Zivilität auch mit staatlichen Mitteln durchsetzt. Wer nach dem Staat ruft, um Menschen „ethnisch“ zu trennen, kann keinen Staat aufbauen, um das Zusammenleben selbst „ethnisch reiner Gruppen“ zu garantieren. Was dann zählt, ist der (geschürte) Haß und die (sanktionierte) Gewalt, nicht die jeweilige historische Begründung. Was hindert im Apartheid-Staat den Ethno-Terroristen daran, seinen Nachbarn als heimlichen Verräter für die andere Seite zu brandmarken und zu brandfackeln, solange es kein überethnisches Rechtssystem gibt? Was hindert den Antisemiten, Juden zu erfinden, wo sie längst ausgerottet sind? Was war das Motiv der Gewalttäter von Solingen und Mölln? Sie wollten zeigen, daß ihre Wahntheorie – „Wir können mit den Türken nicht zusammenleben, weil wir es nicht wollen“ – durch Gewaltakte bewiesen werden könne. Beweist das Anzünden von Menschen, das Brennen von Synagogen oder Moscheen, daß man nicht zusammenleben kann? Beweisen die Attentate auf Kopten in Ägypten, daß man dort jetzt besser „ethnisch“ trennt? Beweist der grausame Krieg in der Osttürkei, daß jetzt Millionen Bürger kurdischer Abstammung aus Istanbul und Ankara (auf zivile Weise) „ausgesiedelt“ werden sollen?
Kroaten, die sich schuldig gemacht haben an der Vertreibung und jetzt an der Aussperrung der Krajina-Serben, können sie sich nicht auf solche Apartheid-Theoretiker berufen? An dem Verlust der überethnischen Zivilität droht die neue Republik Kroatien schon bald zu zerbrechen. Der erste Bericht an die OSZE über die Zerstörung der serbischen Häuser in der Krajina – vermutlich durch Angehörige der kroatischen Armee –, die Ermordung einzelner Serben, die nicht geflohen waren – sollen das wirklich Nachweise sein für die staatlich organisierte Trennung? Wird „Umsiedlung“ wieder zum Prinzip, diesmal begründet von linken Theoretikern? Der Beweis für die Richtigkeit der Apartheid- Lehre ist am besten durch neue Gewalt zu erbringen, jederzeit und überall leicht begründbar durch Hinweise auf historische Gewalt.
Es gibt keine globale Sozialtheorie für das Zusammenleben. Aber es gibt historisch sehr konkrete Erfahrungen für sehr unterschiedliche Situationen. Es gibt zivilisatorische Bedingungen, die uns alle immer ähnlicher werden lassen und uns zwingen, friedlich zusammenzuleben. Der geschürte Terror in Bosnien gilt weit mehr dem Ähnlichgewordensein als der historischen Gewalt gegen das Fremdsein. Die Menschen in Bosnien hatten weit längere Perioden in der Geschichte, in denen sie sich nicht umbrachten, als umgekehrt, sie sprechen die gleiche Sprache, sie haben eine gemeinsame Industriegeschichte, Millionen haben untereinander geheiratet.
Die Gewalt ist der Stoff, aus dem Alpträume sind, die Zivilität ist die schwache, aber einzige Hoffnung auf die Zukunft. Der Terror gegen das Ähnlichwerden läßt sich am besten mit den Gewaltgeschichten der Vergangenheit begründen und am besten absichern durch Wegschneiden der Perioden zivilen Zusammenlebens aus dem Gedächtnis.
Haß ist machbar, Herr Nachbar. Als Milošević am 28. Juni 1989 „seine“ Serben einlud, eine vor 600 Jahren verlorene Schlacht durch Massenbesuch Kosovos zu betrauern, hatte er großen medialen Erfolg. Dieser Tag begründete die Rückkehr in den nationalen Haß: Eine Million Serben folgten seinem Aufruf. Heute versucht Milošević, den Haß wieder zu löschen und spricht von der zivilen Gesellschaft.
Apartheid schafft keinen Frieden. Die überethnische Rechtsordnung muß der Rahmen jeder zivilen Gesellschaft bleiben. Wer jetzt „zivile“ Apartheid fordert, sanktioniert die Vertreibungen und begründet neue Gewalt.
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