: Wichtigste Schaltstelle: Schattenriss
■ Arbeitsgruppe gegen sexuellen Mißbrauch berät und hilft / Wichtigste Telefonnummer: 0421 - 39 39 30
Beate F. wandte sich in ihrer ersten Verzweiflung an die Frauen von „Schattenriss“. Zwei Selbsthilfegruppen von Frauen, die als Kinder mißbraucht wurden, haben sich unter der Obhut von Schattenriss entwickelt, eine dritte Gruppe ist im Aufbau.
„Die Frau muß ganz langsam lernen, mit ihrem Wissen leben zu können.“ Kathrin Radtke, eine der neun Mitarbeiterinnen von Schattenriss erklärt die Ausgangslage der beraterischen und der oft auch notwendigen therapeutischen Arbeit: „Die Frauen haben sich als Kinder Abwehrmechanismen angeeignet, die in ihrem jetzigen Leben nicht mehr greifen. Deshalb müssen sie für ihre aktuelle Lebenssituation Strategien entwickeln und langsam lernen, was gut für sie ist.“ Voraussetzung ist, daß die Betroffene sich dem Thema stellt.
Mit schonungsloser Offenheit reagieren viele der betroffenen Frauen: Wenn das Tabu, über Mißbrauch nicht reden zu dürfen, gebrochen ist, sprechen sie in jeder sich bietenden interessierten Öffentlichkeit von ihren Erlebnissen. Dies erleben auch die Frauen von Schattenriss immer wieder, die zum Teil selbst oder über ihre Töchter betroffen sind: „Wir wollen verhindern, daß diese Form sexueller Gewalt weiter tabuisiert und bagatellisiert wird und ihr tatsächliches Ausmaß öffentlich machen.“
Die Folgen des Mißbrauchs sind zumeist: Sexualstörungen, Schlaflosigkeit, sämtliche Formen von Angst, Beziehungsunfähigkeit, das Gefühl des „Beschmutztseins“ und damit einhergehender Sauberkeitsdrang.
9 von 10 mißbrauchten Kindern sind Mädchen. Der Mißbrauch von Jungen liegt entweder weitgehend im Dunklen oder er
hängt, wie manche Experten vermuten, in etwa proportional mit dem Anteil von Homosexualität in der Gesellschaft zusammen.
Die Täter sind zu 98 % Männer. Schichten- und altersspezifisch ist sexueller Mißbrauch nie: In keiner Alterstufe sind Mädchen vor Übergriffen sicher. Mißbrauch beginnt manchmal schon im Säuglingsalter. Von dem „fremden Onkel“ auf der Straße geht die Gefahr in den seltensten Fällen aus: Nur 6 % der Täter sind Fremde. Etwa ein Viertel aller Täter sind dagegen die eigenen Väter oder Stiefväter. Tatort ist fast immer da, wo sich die Kinder am sichersten fühlen sollten: in der Familie.
„Je näher Täter und Opfer sich stehen, umso eher ist es wahrscheinlich, daß der Mißbrauch mit Gewalt verbunden ist,“ so ein Psychologe. Gewalt ist dabei ein weit gefaßter Begriff: gibt es doch gerade in der Familie subtilere Formen der Unterdrückung.
Das Mädchen hat aufgrund der Abhängigkeiten von den Eltern kaum Möglichkeiten, der Mißbrauchssituation zu entkommen. Es erlebt permanente Hilflosigkeit, Ohnmacht, Angst und Einsamkeit. Mißbrauch ist immer auch mit dem Nicht-darüber -reden-dürfen verbunden: Auch ohne ausdrückliches Verbot spüren die Mädchen den Geheimhaltungsdruck. Sie werden oft jahre
lang zum schweigenden, scheinbar bereitwilligen Opfer. Sie schweigen aus Scham, Angst, oder um die Mutter zu schonen.
Versuchen die Mädchen, ihr Schweigen zu brechen, so stoßen sie auf Unglauben, Ablehnung, Ratlosigkeit oder Nicht-Wissen -Wollen. Nicht selten wird selbst den 7-10Jährigen ein „Provozieren“ der Männer unterstellt. Falls ihr Fall überhaupt vor Gericht kommt, vergehen oft ein bis zwei Jahre bis zur Verhandlung.
An Schattenriss wenden sich immer mehr KollegInnen, die im Kindergarten- und Hortbereich auf Verhaltensweisen und Signale ihrer Schützlinge treffen, die Mißbrauch vermuten lassen:
Nicht kindgerechte Zeichnungen oder Doktorspiele zum Beispiel. In monatlichen Berufsgruppentreffen bietet Schattenriss den vielfach überforderten Pädagogen Beratung und Hilfe an.
Informationsveranstaltungen in Schulen und Initiativen (z.B. am 27.6.89 um 20 Uhr im Frauenkulturhaus, Im Krummen Arm 1)sensibilisieren immer mehr indirekt Betroffene auf Phänomen und Folgen des Mißbrauchs. Ein Filmprojekt und ein „Mutmachprogramm“ zur Prävention, die schon in den Grundschulen ansetzt, sind in Vorbereitung. Sieben der neun Mitarbeiterinnen von Schattenriss arbeiten übrigens ehrenamtlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen