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Westtangente ist nicht durchsetzbar

■ Norbert Rheinlaender, Mitglied der BI Westtangente, sieht in der debis-Idee, die Westtangente wiederzubeleben, den Vorstoß, das Land haushalts- und wirtschaftspolitisch unter Druck zu setzen

Debis-Manager Manfred Gentz rennt mit seinem Vorschlag, die Westtangente wiederzubeleben nicht nur beim ADAC, sondern auch bei Bausenator Jürgen Klemann offene Türen ein. Klemann hält viel davon, über Konzepte nachzudenken, die den Stau an der Tunnelausfahrt am Landwehrkanal „vermeiden“. Umweltsenator Peter Strieder ist dagegen gegen den debis-Vorstoß.

taz: Welches Signal geht von dem Vorschlag aus, eine innerstädtische Schnellstraße vom Tiergartentunnel am Potsdamer Platz über den Landwehrkanal bis nach Schöneberg zu führen?

Norbert Rheinlaender: Der Vorschlag des debis-Managers macht deutlich, daß Investoren sich eine Infrastruktur wünschen, die das Land Berlin ihnen möglichst kostenlos hinterhertragen möge. Es geht jedoch nicht an, daß debis oder andere Investoren sich die „Bonbons“ der Stadt aneignen und sich dafür Infrastrukturleistungen finanzieren lassen wollen.

Die Zahlen, daß dort 70.000 Autos pro Tag in eine Staufalle fahren werden, lagen zum Baubeginn 1994 vor. Damals sagte debis, man setze auf den öffentlichen Personennahverkehr. Warum legt der Konzern jetzt mit einer Neuauflage der Westtangente nach?

Debis verfolgt eine verkehrspolitische Salamitaktik in Richtung Verabschiedung vom öffentlichen Verkehr. Zugleich konterkariert der Konzern das vom Senat beschlossene Verkehrskonzept — den Modal-Split. Wenn ein Investor, der aufgefordert wurde, sich beim öffentlichen Personennahverkehr zu engagieren, jetzt sagt, weil die Straßenbahnplanungen beziehungsweise die U3/Pre- Metro nicht kommen, möchten wir eine Autostraße haben, bedeutet das eine Pervertierung des Verkehrskonzepts vor Ort.

Welche Auswirkungen hätte die Realisierung der Schnellstraße?

Neben dem vergrößerten Loch in der Haushaltskasse brächte dies nur Autofahrern einen Attraktivitätsgewinn. Denn jeder Autofahrer verspricht sich davon, direkt ins Zentrum fahren zu können. Doch nicht nur der Zielpunkt Potsdamer Platz wird verändert, sondern die gesamte Strecke unterwegs: Die Straße zerstört das Gleisdreieck, den S-Bahn-Graben, das Klima wird verschlechtert, die Frischluftschneiße wird zubetoniert.

Manfred Gentz sagt, eine Wiederbelebung der Westtangente sei der Vorschag nicht.

Das ist der alte Streit. Die Senatsverwaltung behauptet, die Westtangente sei ausschließlich als Autobahnplanung laut FNP '65 ausgewiesen. Inzwischen wurde sie als Stadtstraße deklariert. Davon abgeleitet, will niemand mehr das Wort Westtangente in den Mund nehmen, weil sie den jahrelangen Widerstand von uns kennen und wissen, daß eine Westtangente nicht durchsetzbar ist. Aber die Funktion dieser Stadtstraße erfüllt dieselbe Funktion wie die Westtangente: sie soll eine überörtliche Schnellverkehrsstraße mit wenigen Anschlußstellen werden — das ist der Sinn einer Autobahn.

1991 wurde die Westtangente „beerdigt“. Gibt es jetzt überhaupt Handlungsbedarf für den Senat?

Es gibt Kräfte in der Verkehrsverwaltung, speziell Staatssekretär Ingo Schmidt sowie der Planungsleiter Ural Kalender, die sich die Trasse wünschen. Finanzierbar ist das Konzept in den kommenden 15 Jahren nicht. Aber man will sich eine Option auf eine Verlängerung der Straße offenhalten.

Die neue Westtangente ist nicht nur ein verkehrspolitisches, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Thema. Gentz betont, der Stau gefährde die Prosperität am Potsdamer Platz. Stimmt es, daß dem Land Berlin dadurch 500 Millionen Mark Steuern jährlich flötengehen könnte?

Ich gehe davon aus, daß Gentz das Steuerargument nur als Hebel sieht, um den Vorschlag durchzusetzen. Das Land ist hochverschuldet, und er macht Druck, Wege aufzuzeigen, wie das Land zu Geld kommt. Das Steueraufkommen wird mit der jetzigen Planung nicht gefährdet. Die Arbeitsplätze sind erreichbar. Gentz kann nicht verkehrspolitisch argumentieren, also argumentiert er haushaltspolitisch. Interview: Rolf Lautenschläger

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