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Werders Krise als Chance

■ Was lehrt uns das 1:0 von Werder gegen Novi Sad? Vorsicht vor der Tipberatung! Orthopädisch behindertes Mittelfeldtrio nutzt UI-Cup aus – um sich zu bereichern?

Der Mann sollte sich im Nebenberuf vor eine Toto-Lotto-Annahmestelle setzen und Tipberatung anbieten. Christian Brand vom orthopädisch behinderten Werder-Mittelfeldtrio saß auf der Pressetribüne, die Krücken neben sich, und wedelte mit der Armbanduhr. „Siehste, siehste, zwischen der 68. und 75. Minute. Siehste, siehste!“ Wir notieren: Roembiak-Freistoß von schrägrechts, Dieter Frey gilt als unbegleitete Person im gegnerischen Strafraum, hüpft ein bissel hoch und köpfelt den Ball ins Tor, all das in Minute 75. Wir notieren weiterhin: Achtung! Merke! Mit Brand keine Kurzzeitwetten abschließen !

So viel zum privat-pekuniären Aspekt des Dienstag abend, als die heimischen Kicker gegen die aus dem jugoslawischen Novi Sad antraten, gerade mal so noch ein 1:0 hinwürgten und weiter auf den Einzug in den UEFA-Cup träumen dürfen. Was aber lehrt uns der Dienstag abend?

Erstens: Es soll Abbitte geleistet werden. Und zwar vor Lodewijk Roembiak. Den einzigen Profi-Neuzugang der Sommerpause hatten alle Experten schon als mopseligen Mittelmaßkicker kategorisiert – grottenfalsch! Der Holländer war zweifelsfrei der beste Mann auf dem Platz. Roembiak dribbelte, paßte lang, paßte kurz, schoß und flankte – und zwar immer dann, wenn es geboten war. Roembiak spielte. Mit der Mannschaft und für die Mannschaft. Vorbildlich!

Zweitens: Es soll nochmals Abbitte geleistet werden. Diesmal vor der Werder-Combo insgesamt. Seit Wochen schwadronieren die Freunde des heimatlichen Sportvereins über die anstehende Kreativkatastrophe, darüber, daß die Herren Herzog, Maximov und Brand nicht zu ersetzen seien und darum grottig-verkrepelter Fußball herauskommen muß. Ist aber nicht so. Selbstredend sind drei so feine Fußballer unverzichtbar. Aber was Werder – zumindest in der ersten Halbzeit – gegen Novi Sad auf den Rasen zauberte, war über reichlich lange Strecken spielkulturell ziemlich niveauvoll.

„Krise als Chance“: Mal ließ sich Torsten Frings aus dem Dreiersturm ins Mittelfeld zurückfallen, mal Adrian Kunz. Mal tauchte der eine auf dem rechten Flügel auf, mal auf dem linken – und umgekehrt. Mal trieb Raphael Wicky aus der Defensivabteilung den Ball nach vorne, mal Jens Todt, mal Bernhard Trares. Und ab und an paßte sogar Dieter Eilts über 30, 40 Meter – und der Ball kam auch an. Hat man früher eher selten gesehen. Logisch, daß sich Werder vor allem in der ersten Halbzeit massenhaft gute Chancen erarbeitete.

Drittens: Schluß jetzt mit den Abbitten – was Werder aus den vielen Torchancen gemacht hat, das war schon allergrausligst. Von Keeper Frank Rost und Victor Skripnik (auf den kommen wir noch) mal abgesehen, habens alle mal probieren dürfen. Neun gestandene Profis haben sich von Nah und Fern redlich bemüht, das Genähte im Geflochtenen unterzubringen. Allein: abgeblockt, drüber, vorbei, gehalten, zu schlapp – nicht drin. Mag sein, daß sich die Bremer Fußballwelt den Kopf vor allem über das Werder-Mittelfeld zerbricht – die größere Misere liegt allerdings nach wie vor im Sturm. Und wo wir gerade beim Meckern sind: Wenn in der Defensivabteilung weiterhin Bruder Holzfuß Skripnik werkelt, der die flinken Jugoslawen vor allem aus der Hinterherlauf-Perspektive zu sehen bekam, dann wird es erstens ausgesprochen schwer beim Rückspiel in zwei Wochen und zweitens schwer gegen den ganzen Rest der Bundesliga.

Was lernt uns der Dienstag abend noch? Ach ja! Sollten Sie demnächst vor Ihrer örtlichen Lotto-Toto-Annahmestelle einen jungen Mann auf Krücken sehen, der Tipberatung anbietet – seien Sie vorsichtig! Zumindest die Zusatzzahl sollten Sie selbsttätig erraten. „Ich sag's Dir, die machen noch einen! 2:0!“ Wir notieren: Kurzzeitwetten mit Brand – unbedingt!

Jochen Grabler

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