: Werder: Ab in die Mitte
■ Nach dem 0:1 in Nürnberg etabliert sich Werder im Mittelmaß
Dr. Dr. Ingo Böbel, Schatzmeister des 1.FC Nürnberg, ist in der Branche ein bunter Hund: Farbige Brillengestelle zählen zu seinen bevorzugten Accessoires; gern zwängt er seinen gewichtigen Leib auch in lila-grün karierte Jacketts oder in wild gestreifte Hosen.
Nach dem Spiel seines Clubs gegen den SV Werder baumelte eine üppig kolorierte Krawatte vor Böbels Bauch, und er selbst sah alles rosarot: „Wir haben jetzt 16:4 Punkte aus unseren Heimspielen geholt und liegen auf Platz 5 — das ist eine tolle Bilanz!“
1:0 hatten die Nürnberger gerade zuhause gewonnen, nach einem phasenweise begeisternden Spiel vor 36.000 Zuschauern. In der ersten Halbzeit waren die Rothemden besser, danach aber hatte nur noch Werder Torchancen. Nürnbergs Coach Willi Entenmann: „Natürlich sind wir ein glücklicher Sieger — aber meine Mannschaft hat sich dieses Glück erkämpft.“
Die Renaissance der Franken — neunmal Meister, dreimal Pokalsieger — ist schon in der vergangenen Saison eingeleitet worden. Damals dämmerte der Club dem Abstieg entgegen, bis Dr. Böbel beherzt in die Vereinskasse griff und bei Sponsoren bettelte, um Geld für die Transfers der Kicker Eckstein, Dorfner und Zarate zusammenzukratzen. In dieser Saison kamen Golke, Friedmann und Zietsch hinzu — alle Volltreffer und inzwischen Stammspieler. Ein finanzieller Kraftakt sei das gewesen, sagt Dr.Böbel, aber er habe sich gelohnt.
Das Spiel gegen Werder Bremen war der Beweis: Kai Friedmann hielt Wynton Rufer nieder, Sergio Zarate eilte seinen Bewachern stets davon und Andre Golke gab die Flanke, aus der Uwe Weidemann einen Treffer machte.
Golke, Zarate, Torwart Köpke — das sind unverwechselbare Typen. Solche fehlen den Bremern derzeit. Die Rehagelsche Personalpolitik erweist sich in dieser Saison als fatal: Beim Beginn des Spiels gegen Nürnberg saßen alle Neuerwerbungen auf Bank und Tribüne.
Anders Nürnberg: Ihren langmähnigen Sergio Zarate lieben die Fans über alles. Eine verständliche Leidenschaft: Der junge Argentinier schmust mit der Lederpille herum wie kein zweiter. Als Entenmann ihn auswechselte, gab es schrille Pfiffe. Entenmann aber (“Wir kriegen keine Punkte, weil der Sergio so elegant über den Ball steigt“) ließ sich nicht beirren: Müde sei der Zarate gewesen, außerdem schwach in der Abwehr. „Da mußte er raus, schließlich zählt bei mir nur der Erfolg der Mannschaft und kein Einzelner.“
Zu seinem Lieblingsschüler hat sich Entenmann, der gelernte Realschullehrer, den Mittelfeldrenner Andre Golke auserkoren. Der dreitagebärtige Ex-St.Paulianer trabt unentwegt über das Feld, treibt an, legt vor, wehrt ab. Alles im Dienst der Mannschaft. Da ist die Chefetage des Lobes voll: „Ein wunderbarer Fußballer, dem nur ein Torerfolg fehlt“, sagt Böbel. „Was er leistet, ist enorm“, lobt Entenmann.
Am Ende hatten alle Nürnberger den Bremer Schlußspurt überstanden. Selbst Oliver Reck war in den gegenüberliegenden Strafraum geeilt, um doch noch den Ausgleich zu erzielen! Ohne Erfolg.
Werder verabschiedet sich einstweilen ins Mittelmaß, während der Nürnberger Club verstohlen nach oben blickt. Zehn Punkte hatten sie nach der Rückrunde vor einem Jahr, satte 21 sind es diesmal. Da frohlockte Farbenfreund Dr. Böbel: „Wenn wir in der Rückrunde genauso spielen, wird das eine echte Traumsaison.“ Holger Gertz
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