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Wer sich nicht fügt, riskiert sein Leben

Amnesty international legt einen umfangreichen Bericht über Menschenrechtsverletzungen im irakisch besetzten Kuwait vor/ Hunderte von willkürlichen Erschießungen schufen ein Klima der Angst  ■ Von Stefan Schaaf

Der am Dienstag veröffentlichte Report ist nicht der erste: Seit der Invasion irakischer Truppen in Kuwait hat die Menschenrechtsorganisation amnesty international mehrfach an die Regierung Saddam Husseins appelliert, die schweren Menschenrechtsverletzungen in dem okkupierten Nachbarland einzustellen und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Die einzige offizielle Reaktion darauf war bisher eine ebenso arrogante wie holprig formulierte Erklärung der irakischen Botschaft in London, in der ein amnesty-Bericht vom 3.Oktober als Ergebnis von „einseitigen Zeugenaussagen“ sowie als „Peinlichkeit für jede Form derartiger Berichterstattung“ bezeichnet wurde.

Peinlich kann der nun veröffentlichte umfassende neue Report der Gefangenenhilfsorganisation allenfalls für die irakische Staatsführung und ihre Politik der Dementis sein. „Sicher ist nur, daß ich von solchen Handlungen nichts gehört habe“, so Saddam Hussein am 12. November im britischen Fernsehen, als er auf Berichte über Folterungen, Hinrichtungen und Verstümmelungen angesprochen wurde.

In dem neuen 80seitigen ai-Bericht wird festgestellt, daß die seit dem 2. August vorgefallenen Rechtsbrüche sich „mit Mißbräuchen decken, wie sie schon seit Jahren vom Irak begangen worden sind“. Amnesty bedauert, daß die internationale Gemeinschaft nicht schon vor der Invasion Kuwaits massiven Druck auf Bagdad ausgeübt hat, die brutale Unterdrückung der inneren Opposition und andere Menschenrechtsverletzungen zu beenden.

US-Präsident Bush hat diese auch auf die USA gemünzte Kritik nicht daran gehindert, dem ai-Bericht am Montag „weite Verbreitung“ zu wünschen und die Hoffnung zu äußern, daß er das Verständnis der US- Bevölkerung für seine Drohpolitik erhöhe.

Amnesty international hat zahlreiche Berichte von Augenzeugen der Ereignisse sowie von Institutionen mit Mitarbeitern in Kuwait ausgewertet, um ein Bild der Repressionsmaßnahmen seit dem irakischen Einmarsch zu entwerfen. Dazu gehören die willkürliche Festnahme und Inhaftierung von Tausenden Zivilisten und Militärs, weitverbreitete Folterungen und die grundlose Ermordung Hunderter Unbewaffneter, darunter von Kindern. Hunderte sind darüber hinaus in unbekannten Gefängnissen verschwunden.

Ai berichtet, daß die Okkupatoren in den ersten Tagen vor allem kuwaitische Militärs in rasch eingerichteten Haftzentren festsetzten, dann auch BürgerInnen der arabischen Staaten, die die Invasion kritisiert hatten. In der Falle saßen nach dem 2.August aber auch irakische Oppositionelle, die zum Teil schon seit langem in Kuwait gelebt hatten. Viele von ihnen gehören der islamischen Da'wa-Bewegung an. Ai befürchtet, daß sie nach Irak verschleppt wurden, wo ihnen Folter und Hinrichtung drohen. Da'wa- Mitgliedschaft gilt im Irak seit 1980 als Kapitalverbrechen.

In der zweiten und dritten Augustwoche entstand eine anti-irakische Oppositionsbewegung in Kuwait, deren Mitglieder — vor allem Kuwaitis, aber auch Palästinenser und Ägypter — sich von lokalen Polizeiwachen Waffen und Munition beschaffen konnte.

Ziviler Ungehorsam und symbolische Protestaktionen wie das Hissen der kuwaitischen Flagge wurden berichtet. Vor allem widersetzte man sich der angeordneten „Irakisierung“ Kuwaits, also der Verwendung irakischer Papiere und Autokennzeichen, irakischer Währung und dem von den Besatzern angeordneten, vor allem für ältere religiöse Männer erniedrigenden Bartverbot. Das Beispiel eines 26jährigen Mannes belegt die Brutalität des irakischen Vorgehens: Weil er Nahrungsmittel zu einer Moschee brachte, damit von der Lebensmittelknappheit Betroffene dort eine Mahlzeit erhalten konnten, wurde er festgenommen, in der Haft brach man ihm die Rippen.

Ai zitiert eine kuwaitische Hausfrau, daß vor allem Kinder in einem „Zustand ständiger Angst“ lebten. „Viele fingen zu stottern an. Andere waren außerstande, ihre Blase zu kontrollieren. Wir versuchten, das Stottern zu heilen, indem wir sie mit auf die Dächer nahmen, von wo wir ,Allahu Akbar‘ riefen, um gegen die Iraker zu protestieren. Erst fiel es ihnen schwer, aber wir sagten ihnen, so laut zu schreien, wie es geht. Nach ein paar Versuchen gewannen sie ihre Sprache zurück.“

Einzelne ehemalige Häftlinge berichteten, daß Gefangene, die gefoltert worden waren, nicht freigelassen, sondern exekutiert wurden, um keine Berichte über die Brutalitäten an die Außenwelt dringen zu lassen. Dennoch kann ai zahlreiche Fälle und Methoden der Folter durch Zeugenaussagen und Fotos belegen.

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