: Wer hat Angst vor der Gentechnik?
Die EU-Kommission hat einen neuen Entwurf zur Regelung der Gentechnik vorgelegt: „Überzogene Anforderungen führen zu überzogenen Ängsten“, meinen viele Politiker ■ Aus Brüssel Christian Rath
Die Grenzen der Bio- und Gentechnologie werden in Europa fast nur noch ethisch, jedoch kaum noch ökologisch definiert. Dies wurde gestern bei einem gemeinsamen Biotechnologie-Forum von Europäischer Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament deutlich. „Kein Mensch und kein Teil eines Menschen darf Eigentum eines anderen Menschen sein“, lautete die feierliche Proklamation von Industriekommissar Martin Bangemann. Die deutsche SPD-Europaparlamentarierin Evelyn Gebhard traute ihren Ohren nicht. „Ist das denn nicht selbstverständlich? Ich verstehe gar nicht, warum wir darüber eigentlich diskutieren müssen“, fragte sie in die Runde.
Doch die Frage wurde nicht aufgegriffen. Immerhin war der erste Entwurf einer Richtlinie zur Patentierung von gentechnologischen Erfindungen eher zweideutig gewesen. Das Europäische Parlament hat ihn glatt abgeschmettert. Jetzt liegt ein neuer Vorschlag der Kommission auf dem Tisch. Und zumindest in dieser Frage sind hier nun auch die Bedenken der ParlamentarierInnen berücksichtigt. Grund für die massive Betonung ethischer Selbstverständlichkeiten könnte aber auch sein, daß mit derartigen Allgemeinplätzen die lange Zeit vorherrschenden ökologischen und gesundheitlichen Bedenken in den Hintergrund gedrängt werden sollen. „Viele Bedenken, gerade im Sicherheitsbereich haben sich als überholt erwiesen“, argumentierte etwa Bangemann. Und der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Heinrich Kolb fand sogar, daß sich der gesetzliche Rahmen von der wissenschaftlichen Diskussion völlig abgekoppelt habe. „Vernunft wird Unsinn, Wohltat wird Plage“, zitierte der Staatssekretär aus Goethes Faust.
Die Konferenz sollte offensichtlich Stimmung machen für die geplante Deregulierung der beiden grundlegenden Gen-Tech-Richtlinien der EU. Zur Verwässerung der Labor-Richtlinie hat die Kommission schon einen Vorschlag vorgelegt, im Hinblick auf die Freisetzungs-Richtlinie wird eine Kommissionsinitiative noch in diesem Jahr erwartet. Gerade die Bundesregierung macht heftig Druck in diese Richtung.
Kolb hält gar nichts von der Theorie, daß ein hohes Schutzniveau auch im Interesse der Gen- Tech-Industrie liege, weil es Akzeptanz und Vertrauen schaffe. „Das Gegenteil ist richtig: Überzogene Anforderungen führen nur zu überzogenen Ängsten.“
Die allgegenwärtige Forderung nach einem „gesellschaftlichen Dialog“ über die Biotechnologie (gemeint war in der Regel die Gentechnologie) hatte denn auch nur ein Ziel: „Wir müssen sicherstellen, daß die Biotechnologie in Europa auf einen fruchtbaren Boden fällt“, erklärte Bruno Hansen, ein hoher Beamter der Generaldirektion Forschung von Kommissarin Edith Cresson. „Halbwissen führt zu übergroßen Befürchtungen, also müssen wir objektive Informationen vermitteln.“
Das ließ sich die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer nicht zweimal sagen und forderte die Kennzeichnung gentechnischer Produkte, insbesondere von Lebensmitteln. „Das ist doch doppelbödig“, wandte sie sich an die Komissionsvertreter, „einerseits fordern Sie mehr Informationen der Bevölkerung, aber wenn es um die Kaufentscheidung geht, dann wollen Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern den entscheidenden Hinweis vorenthalten.“
Die Kommission sieht dagegen in einer Kennzeichnungspflicht nach wie vor eine „Stigmatisierung“. Mit dieser Position hat sie sich bei der Verabschiedung der sogenannten Novel-Food-Richtlinie auch im Ministerrat durchgesetzt, wobei aber eine Ablehnung im Europäischen Parlament erwartet wird. Im Laufe des Jahres müßte der Streit dann in einem Vermittlungsausschuß geklärt werden. Das Drängen der Kommission hat einen konkreten Hintergrund. Während in den USA jährlich 13 Milliarden Mark in die Biotechnologie investiert werden, sind es in Europa nur insgesamt rund vier Milliarden Mark. Während in den USA die Zahl der in diesem Bereich engagierten Unternehmen stetig ansteigt, geht sie in Europa zurück. Derzeit sind europaweit nur rund 184.000 Arbeitsplätze in dieser (ohnehin nur schwer abzugrenzenden) Branche zu verzeichnen.
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