■ Der machtbewußte Kanzler und das Bundespräsidentenamt: Wer entwürdigt das Amt?
Die Würde des Bundespräsidentenamtes sei gefährdet, warnen solche, die in Wahrheit nur meinen, der Kanzler dürfe für seinen persönlichen Vorschlag nicht kritisiert werden. Aber gerade um der Würde des Amtes willen tut diese Kritik not. Was immer für Qualitäten in einem Kandidaten stecken mögen, er müßte sie, um zum ersten Repräsentanten des Staates gewählt zu werden, zuvor für alle sichtbar und überzeugend bewiesen haben. Es geht nicht, daß einer uns vorgesetzt wird, der sich bislang nur durch ein paar sozial unsensible Äußerungen, aber noch durch keinen einzigen achtungserweckenden Beitrag zum politischen Leben in unserem Land bekanntgemacht hat. Wenn es einer aus dem Osten sein sollte – wofür manches spricht –, dann dürfte es doch nur einer sein, der sich in der ostdeutschen Bürgerbewegung, aus der die friedliche Befreiung vom SED-Regime hervorgegangen ist, einen besonderen Namen gemacht hat – wie Jens Reich etwa.
Der machtbewußte Kanzler will – nur das ist deutlich – nicht noch einmal im Schatten eines Bedeutenderen und obendrein Unbequemen stehen. Aber das Volk, von dem laut Verfassung Art. 20 alle Staatsgewalt ausgehen soll, muß beanspruchen, von dem Würdigsten – eben wegen der höchsten Würde dieses Amtes – repräsentiert zu werden. Diesen Auftrag mißachtend, würden die Mitglieder der Bundesversammlung unserer Demokratie wie unserem äußeren Ansehen schaden, nicht zuletzt dem Kandidaten einen schlechten Dienst erweisen. Horst-Eberhard Richter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen