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Wenn die Iren Trauer tragen

■ Heute werden die drei in Gibraltar erschossenen IRA–Mitglieder in Belfast beerdigt

Flughafen Dublin am Montag abend: 2.000 Menschen warten im strömenden Regen geduldig auf die Ankunft der Särge mit den Leichnamen von Mairead Farrell, Sean Savage und Danny McCann. Einige tragen schwarze Fahnen. Auch Neil Blaney ist gekommen, der ehemalige Abgeordnete der Regenbogenfraktion im Europaparlament. Die irische Polizei hält sich diskret im Hintergrund, während ein Armeehubschrauber über der Menschenmenge kreist. Nach zweistündiger Wartezeit öffnet sich schließlich das Tor der Totenhalle. Hinter einem Dudelsackspieler tragen Familienangehörige die Särge zu den Leichenwagen, wo Sinn Fein– Präsident Gerry Adams die irische Trikolore um die Särge wickelt. Dann fährt der sieben Kilometer lange Trauerzug los in Richtung Belfast. Tausende von Menschen säumen die 80 Kilometer lange Strecke bis zur nordirischen Grenze. Kaum hat der Trauerzug nordirischen Boden erreicht, blockieren 30 Polizei–Jeeps die Straße. Die Polizei (RUC) verlangt, daß die Trikoloren von den Särgen entfernt werden. Nach stundenlangen Verhandlungen werden die Fahnen zusammengefaltet und auf die Särge gelegt. Danach dürfen die Leichenwagen weiterfahren - einzeln, im Abstand von einer Stunde. Am Stadtrand der nordirischen Grenzstadt Newry warten protestantische Jugendliche und bewerfen den Trauerzug mit Steinen und leeren Flaschen. Als der Trauerzug gegen drei Uhr nachts einen Vorort von Belfast erreicht, wird er erneut aufgehalten. Die RUC gestattet nur den Leichenwagen und den Familienangehörigen die Weiterfahrt nach Belfast. Alle anderen müssen umkehren. Die RUC will unbedingt verhindern, daß die „Irisch–Republikanische Armee (IRA)“ Salutschüsse über den Särgen abfeuert. Doch die IRA hatte ihre Salutschüsse bereits am Nachmittag ab gefeuert. Vier uniformierte und maskierte IRA–Mitglieder hatten Fotografen und ein Fernsehteam zu der Zeremonie in eine Nebenstraße im katholischen West–Belfast eingeladen, wo eine kleine Gedenkstätte mit den Fotos der Ermordeten aufgebaut war. West– Belfast, das Heimatviertel der drei toten IRA–Leute, gleicht in diesen Tagen einer Festung. Seit den Schüssen von Gibraltar kam es jede Nacht zu Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und den „Sicherheitskräften“. Viele Fahrzeuge gingen in Flammen auf. Polizei und Armee kamen mehrmals unter Beschuß von Heckenschützen. Am Montag wurde der 28jährige Kevin McCracken bei einem Schußwechsel von der britischen Armee getötet. Spannungen vor der Beerdigung Es ist zu erwarten, daß es bei den heutigen Beerdigungen zu weiteren Zwischenfällen kommen wird, da die RUC offenbar nicht bereit ist, sich im Hintergrund zu halten. Sie hatte von den Familien der drei IRA–Leute eine Garantie verlangt, daß die IRA die Beerdigungen nicht für propagandistische Zwecke ausnutzen werde. Die Familien haben auf diese Forderung nicht reagiert. In der Republik Irland haben die Morde an dem IRA–Kommando auch bei konservativen Politikern Empörung ausgelöst. Die ohnehin belasteten anglo–irischen Beziehungen sind auf dem Nullpunkt. Der irische Regierungschef Haughey verlangte von London die volle Aufklärung der Ereignisse von Gibraltar und die Einsetzung einer Untersuchungskommission, was seine britische Amtskollegin Thatcher jedoch kategorisch ablehnt. Es sind Stimmen im irischen Parlament laut geworden, die eine sofortige Einstellung der Zusammenarbeit mit Großbritannien im Sicherheitsbereich fordern. Neil Blaney sagte, daß keine IrInnen mehr an die britische Justiz ausgeliefert werden dürfen. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Dubliner Regierung erklärt, daß die Erschießung Unbewaffneter für jede demokratische Regierung unakzeptabel sein sollte, zumal in diesem Fall die Möglichkeit bestanden hätte, die IRA–Einheit ohne Risiko festzunehmen. Nach Augenzeugenberichten sind Mairead Farrell, Sean Savage und Dan McCann vor zehn Tagen von einer Zivil gekleideten SAS– Einheit in Gibraltar ohne Vorwarnung erschossen worden, als sie zu Fuß auf dem Weg zur spanischen Grenze waren. Die IRA erklärte, daß das Kommando sich für „einen aktiven Einsatz“ in Gibraltar aufhielt. Wahrscheinlich war ein Bombenanschlag auf das „Royal Anglian Regiment“ geplant, das bis Anfang des Jahres noch in Nordirland stationiert war. Die britischen Behörden waren bereits seit November von verschiedenen Reisen der IRA–Leute nach Gibraltar informiert. Die drei IRA– Mitglieder wurden in Belfast ständig von der RUC–Sondereinheit E4A observiert, die ihnen auch in die britische Kronkolonie folgte, um sie für das SAS– Todeskommando zu identifizieren. Nach der Exekution gab die britische Regierung zunächst bekannt, es habe ein Schußwechsel stattgefunden, und die IRA–Einheit habe eine Autobombe vor dem Regierungspalast in Gibraltar gelegt. 24 Stunden später mußte der britische Außenminister Howe eingestehen, daß beide Informationen falsch waren. Danach begann eine fieberhafte Suche nach der Bombe, mit der die Morde an den drei IRA– Leuten gerechtfertigt wurden. Am letzten Mittwoch fand die spanische Polizei schließlich im südspanischen Marbella 60 Kilogramm Sprengstoff in einem Auto, das in einer Tiefgarage abgestellt war. Nach Auskunft der britischen Behörden hatte Mairead Farrell dieses Auto unter falschem Namen gemietet. Ralf Sotscheck

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