: Wenn der Müllberg ruft
■ Hamburg alpin für bekennende Flachlandhasser Von Stefan Kreft
Ja, das olle Garn vom Seemann kennen wir, der nicht mehr zur See fährt und vor Sehnsucht nach dem blanken Hans dem Suff verfällt... Aber es gibt noch andere schicksalsgebeugte Mitmenschen, zahllose, mitten unter uns. Leicht erkennbar sind sie an den sehnsüchtigen Blicken, die sie erfolglos über Elbe und Alster schweifen lassen. Und an ihren dicken Waden. Es sind die Alpinisten, die Bergsportler und Kraxelfreunde, die ein selbstgewähltes oder fremdgelenktes arges Schicksal in den Norden verschlagen hat. Doch nicht nur Bayern und Mittelgebirgler, von der Eifel bis zum Brocken, laufen verloren durch Marsch und Geest oder schichten sich ein Traumhügelchen hinterm nächsten Häuserwall. Auch viele hansestädtische Eingeborene vermissen offensichtlich etwas an ihrer Stadt. Einige Jahre Öffentlichkeitsarbeit für den Sauerländischen Gebirgsverein oder Erfahrung in der Montanpsychologie ermöglichen da subtile und aufschlußreichere Beobachtungen...
Die Mode zum Beispiel: Als warte frau auf größere Beanspruchungen für ihr Schuhwerk, legt sie sich (vernünftigerweise) gleich solches mit dicken und rutschfesten Profilsohlen zu, die auch Geröllfeld und Gletschergang meistern (würden). Und trägt auf der Piste (aha!) dazu – einen Rucksack. Zwar ist dieser aufgrund szenebedingter Verfremdung zu klein für Butterbrot und Feldstecher und zudem meist silbern (was das Wild verschreckt), aber es kann kein Zweifel bestehen, daß es sich hier um ein wichtiges Konsumbedürfnis für Bergsportartikel handelt.
Ein ähnliches Verhalten zeigen RadfahrerInnen: Sie jagen auf grobstollig bereiften und mit – mindestens – 21 Gängen ausgestatteten Mountainbikes durch Parks und schmucke Alleen und setzen ihre Frustrationen über fehlende Herausforderungen in Geschwindigkeit um. Zwei Beispiele von vielen für den explosiven Charakter der Problematik.
Doch all Wehgeschrei hilft bekanntlich nichts. Welche Hoffnung also gibt es für geoutete Alpinisten und solche, die so flach wie bisher nicht weiterleben können? Die schlechte Nachricht gleich vorneweg: Den klassischen Berg – in Luxusausführung mit Felszinnen, Wolkenkrone und Glitzergletscher – gibt es in Hamburg nicht. Aber dennoch verfügen Hamburg und Umgebung über ein erstaunliches Steigungs- und Gefällekapital: Eine Wanderung längs der Elbe bei Wedel mit regelmäßigen Deichseitenwechseln kann schon Linderung verschaffen.
Auf der Suche nach luftigen Höhen sollte man sich allerdings nicht durch Namensgebungen irreführen lassen: Hamburger Berg, Mönckebergstraße oder Grindelberg sind Mogelpackungen, deren Gefälle erst eine gerollte Murmel oder eine exakte Wasserwaage offenlegen. Und Mümmelmannsberg kann zu Erholungs- und Ertüchtigungszwecken nur bedingt empfohlen werden. Heimatkundige aber wissen: Bergedorf und vor allem die Harburger Berge, deren Gipfel sich bis in sauerstoffarme Regionen jenseits der hundert Höhenmeter emporschwingen, halten, was ihre Namen verheißen.
Der Geheimtip für Höhensüchtige und zugleich die luftigste und exotischste Alpinerfahrung, die Hamburg zu bieten hat, liegt jedoch im Norden: Die (besteigbaren und grünen!) Müllberge bei Fuhlsbüttel. Ein ebenso aufschlußreiches wie bedenkliches Zeichen dafür, daß in den HamburgerInnen die Gebirgslust schwelt...
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