: Wenn der Mann zur Front muß
■ Regina F. (22) ist mit einem GI verheiratet und besteht „nur noch aus Angst“ / „Am besten wäre ein Beinbruch"
Noch sieben Tage bleiben ihr. Regina F. (22) rechnet fest damit, daß es „am 28.“ soweit ist, daß dann ihr Mann an den Golf verlegt wird. Aber sie will nicht, daß ihr Mann in den Krieg zieht. An ihrer Wand hängen niedliche Tierfotots. Sie sagt: „Ich könnte nicht töten. Ich könnte niemandem etwas zuleide tun.“ Regina F. will aber auch nicht, daß ihr Mann desertiert. Sie sagt: „Im Versteck leben, das könnten wir beide nicht.“ Regina F. über ihre letzten Wochen: „Ich bin nur noch Angst. Ich möchte keinen sehen. Nur noch allein sein. Jeden Morgen, wenn er weg geht, denke ich: 'Oh Gott. Kommt er noch Mal zurück? ' Man mag sich gar nicht mehr streiten, weil man denkt: 'Vielleicht stirbt er bald.' Es gibt niemanden, der einem jetzt wirklich helfen kann." Sie habe schon daran gedacht den Army-Kaplan anzurufen, aber der gehe ja mit in den Krieg.
Ihr Mann arbeitet bei der US-Army in Garlstedt. Als sie ihn kennenlernte, war sie neunzehn. Damals hatte die Army für sie keine Bedeutung: „Man trifft jemanden, verliebt sich... Für mich war das ein Mensch.“ Was das heißt, „Army“, wurde ihr erst nach der Hochzeit klar: „Es war eine Zwangsheirat, wie alle Heiraten bei der Army. Die einzige Möglichkeit, um zusammenziehen zu können. Aber ich habe kein Privatleben mehr. Ich fühle mich beobachtet auf Schritt und Tritt.“ Die Army bezahle die Wohnung, die Army habe deshalb auch das Recht, die Wohnung zu inspizieren, sich nach Schuldenstand zu erkundigen oder nach der Sauberkeit. Der Army-Geheimdienst kontrolliere das Freizeit-Leben. „Und mitten in der Nacht ist Alarm. Das ist jedes Mal ein Schock. Dann muß er raus. Und immer in Rufbereitschaft sein. Und es gibt kein richtiges Wochenende. Nur wenn er Urlaub nimmt. Army, das heißt Parieren.“ Wenn ihr Mann heil aus dem Krieg zurück sei, werde sie das alles mal öffentlich machen.
An „Krieg“ als reale Möglichkeit hat Regina F. nie zuvor gedacht: „Ich dachte, heutzutage ist die Welt modern. - Und Army heißt Geld. Nach drei Jahren Dienst gibt es mehr als 20.000 $ Abfindung. Wir hatten alles geplant: Daß wir in die USA gehen. Und wann die Kinder kommen. Wann wir mit dem Studium fertig sind. Wie wir das Geld einteilen.“
Dieser Traum war für sie am 9. November jäh aus geträumt: „Es war für mich zuerst wie ein Alptraum, aus dem ich irgendwann wieder aufwachen würde. Aber dann stand's auch schon in den Zeitungen. Ich habe es allen möglichen Leuten erzählt. Aber die konnten das nicht glauben. Oder sie sagten: 'Och, vielleicht wird das ja gar nicht so schlimm'“. Regina F. ist jetzt noch empört, als sie von diesen verharmlosenden Reaktionen erzählt: „Krieg ist für mich Krieg!“ Dann denkt sie wieder an den Ausweg Desertion und fügt entschuldigend hinzu: „Man sieht ja, daß wenig Leute Verständnis haben. Die sagen alle: 'Du hast eben einen Soldaten geheiratet.' Es gibt soviele Leute, die es einem nicht einfach machen würden. Ich kann mich nicht verstecken. Ich könnte so nicht leben.“ Als noch Aussicht bestanden habe, ein Zufluchtsland zu finden, da habe ihr Mann zu ihr gesagt: „Wenn Du willst, gehe ich sofort mit Dir.“ Aber Schweden und Österreich hätten ja abgewinkt: „Es ist kein Land da. Keine soziale Sicherheit.“ Die Möglichkeit, nicht zu desertieren, sich aber für dreißig Tage unerlaubt von der Armee abzusetzen, habe ihr Mann sofort verworfen: „Er will absolut nicht ins Gefängnis. Ich weiß auch nicht, warum. Er hat gesagt: Lieber sterbe ich, als daß ich ins Gefängnis gehe.“
Dann erzählt sie von dem ersten Ausweg, der ihr eingefallen war: „Im ersten Moment habe ich gedacht: 'Wenn er stirbt, will ich auch sterben.' Ich habe bei verschiedenen Vereinen angerufen, ob ich als Krankenschwester mit runter gehen kann.“
Gegenwärtig kreisen Regina F.s Gedanken um ganz andere Auswege. Ab und an sagt sie Sätze wie: „Das beste wäre: Zwei gebrochene Beine.“ Oder: „Das schönste wäre ein Blinddarm. Das wäre natürlich“. Oder: „Ich stelle ihm beim Eislaufen ein Bein. Das kann keiner beweisen.“ Oder: „Ich hab' schon zu ihm gesagt: Nachts, wenn Du schläfst, hack ich dir Finger ab. — Man überlegt sich wirklich Dinge, bei denen der Mann Angst vor einem kriegt.“ Barbara Debus
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