: Wenn Zungen blau anlaufen
Neue Tierseuche in Deutschland: Eine Mückenart, die den gefährlichen Virus überträgt, wandert aus dem Süden gen Norden. Forscher: Schuld daran ist die Erderwärmung
BERLIN taz ■ Ein Virus auf dem Vormarsch: Erstmals ist in Westdeutschland die Blauzungenkrankheit ausgebrochen. Auf neun Höfen im Kreis Düren bei Aachen haben sich Schafe und Rinder infiziert. Das teilte gestern das nordrhein-westfälische Agrarministerium mit. Die Bauern dürfen ihr Vieh derzeit nicht verkaufen, getötet werden muss es jedoch nicht.
Bis vor kurzem trat die Tierseuche nur in wärmeren, südlichen Regionen auf. Doch schon in der letzten Woche gab es Fälle in den Niederlanden und Belgien. Darunter ein Hof in Kerkrade, nur wenige Kilometer von Aachen entfernt. Seitdem müssen dort, so entschieden die holländischen Behörden, alle Wiederkäuer im Umkreis von 20 Kilometern im Stall bleiben. Und der NRW-Agrarminister Eckhard Uhlenberg (CDU) verfügte, dass im Grenzgebiet keine Tiere mehr transportiert werden dürfen.
Der Name der Krankheit kommt von den Symptomen, die gut eine Woche nach der Infektion auftreten: Bei einem Schaf schwillt die Zunge an und färbt sich blau. Oft hängt sie aus dem Maul raus. Die Tiere lahmen, haben Fieber, und die Haare fallen aus. Die meisten Schafe sterben nach acht bis zehn Tagen. Ziegen und Rinder hingegen überleben. Bei ihnen verläuft die Krankheit auch „still“, so sagen Tierärzte – ohne sichtbare Anzeichen.
Für den Menschen ist der Erreger nicht gefährlich. „Sie können ohne Bedenken Fleisch und Milch verzehren“, sagt Elke Reinking vom Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit. Und sind Hunde oder Katzen anfällig? „Nein“, versichert die Expertin von der Ostseeinsel Riems.
Die Forscher dort rätseln, warum die Seuche hierzulande auftritt. Aachen liegt auf dem 50. nördlichen Breitengrad. Die Seuche kam ursprünglich nur zwischen 40 Grad Nord und 35 Grad Süd vor – etwa in Afrika, dem Nahen Osten oder Indien. Schon in den letzten Jahren wanderte sie gen Norden – bis nach Spanien, Südfrankreich oder Sizilien.
Das Schweizer Bundesamt für Veterinärwesen fürchtet schon seit längerem, dass die „Blaue Zunge“ durch die Klimaerwärmung begünstigt wird: Die Viren würden durch Stechmücken übertragen, erklärt Sprecher Marcel Falk. Und diese Mücke – Gattung Culicoides – möge es warm. Falk: „Sie wächst nur heran, wenn es längere Zeit höhere Temperaturen gibt.“ Fiele das Thermometer unter 12 Grad Celsius, rege sie sich kaum noch. Europaweit sind Veterinäre besorgt, weil sich die Seuche ausbreitet – zumal die Mücke einen Vorteil hat: Sie ist nur bis zu drei Millimeter lang und leicht. Also kann sie sich vom Wind kilometerweit tragen lassen.
Wie sie gestoppt werden kann – darüber beriet gestern Nachmittag zum ersten Mal die EU-Kommission mit den Mitgliedstaaten. Im Kreis Düren sind Bauern schon jetzt verpflichtet, Chemie gegen Mücken zu sprühen. Das Problem könnte sich vorerst aber auch natürlich lösen: Das NRW-Ministerium nimmt an, dass die Seuche zurückgeht, sobald es kalt wird.
HANNA GERSMANN