■ Der Vertretungsanspruch der reinen Lehre:: Wenn Tunten hassen...
Berlin (taz) – Seit der Gründung des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) 1990 gibt es in diesem Land kurioserweise gleich zwei Verbände, die den Vertretungsanspruch der reinen Lehre für die Emanzipation der Schwulen für sich pachten. Dem zweiten, dem Bundesverband Homosexualität (BVH), tat die Konkurrenz sichtlich gut, seither legt auch er sich wieder kräftig ins Zeug.
Seit der SVD sich ins Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultiert hat, hagelt es Kritik von allen Seiten, meist nach altbewährter schwuler Streitkultur: nicht sachlich, sondern immer polemisch und unterhalb der Gürtellinie. An Derartiges hat man sich am anderen Ufer gewöhnt und verfolgt's mit Interesse, wie andere die Skandälchen im englischen Königshaus.
Die Personifizierung eben beschriebener Streitkultur, Jürgen Neumann, ging nun einen Schritt weiter und schwärzte den SVD beim Regierungspräsidium Nordrhein-Westfalen ob seiner dunklen Machenschaften an, die er, Neumann, da witterte. Die 100.000 Mark, die der Landesverband SVD/NRW vom Land 1993 bekam, hätte sich ihr Sprecher Volker Beck zweckentfremdet unter die Nägel gerissen und sich ein repräsentatives Wahlkampfbüro für seine angestrebte Bundestagskandidatur bei den Grünen in SVD-eigenen Räumen eingerichtet. Außerdem würde der SVD für die Grünen Werbung machen, denn, Stein des Anstoßes, zu den Grünen bestünde eine besondere Nähe, „da Volker Beck gleichzeitig die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik der Grünen“ vertritt.
Jürgen Neumann ist das Enfant terrible der Schwulenszene, der Lonesome Cowboy, der für das Gute in der Welt streitet. Seine politische Karriere startete er 1970 im NPD-Landesverband Berlin. Nachdem er dort die schwule Emanzipation nicht durchsetzen konnte, trat er 1971 wieder aus und gründete die „Deutsche homophile Organisation“, um für ein paar Jahre gegen die „kommunistischen“ und „baadermeinhofnahen“ studentischen Schwulengruppe zu kämpfen. Nach der NPD liebäugelte er zeitweise mit der FDP, ist aber nach eigenen Angaben seit 15 Jahren Mitglied der CDU, außerdem „engagierte“ er sich Anfang der achtziger Jahre in einer „Bürgerinitiative pro AKW“. Als die „Politik“ nicht mehr soviel hergab, wurde er Journalist und betreute von seinem Wohnort Hannover aus in mehreren schwulen Gazetten die Region Nord. Lange hielt er es nie aus bzw. die Blätter es nicht mit ihm, so daß er jetzt maßgeblicher Redakteur der Zeitung Down-Town geworden ist – ein Anzeigenblättchen, das kostenlos in der Szene verteilt wird. Von diesem Forum aus startet er seinen Feldzug gegen das Linke (alles ab SPD) in der Schwulenbewegung. Mit der Denunziation des SVD, die er als journalistische Anfrage tarnte, verließ er nun das schriftliche Terrain seiner monatlichen Elaborate und beschwor damit die Gefahr herauf, daß die eh schon knapp bemessenen Mittel für schwule Selbsthilfe gestrichen werden.
Die Vorwürfe sind freilich an den Haaren herbeigezogen. Der SVD konnte alles entkräften. Beim Ortsbesuch der Regierungsbeamten befanden diese das Ikea- Büro des SVD nicht als zu luxuriös. Gegenüber der taz versicherte das Regierungspräsidium, daß dem SVD dadurch keine finanziellen Nachteile entstünden. Derartige Briefe seien „überhaupt nicht üblich“, trotzdem müsse solchen Vorwürfen aus der „Bevölkerung“ halt nachgegangen werden.
Letztes Kuriosum: Der „Schwule Unternehmerverband Köln“ (auch so was gibt es!) will Down-Town zukünftig boykottieren. Jens Dobler
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