■ Normalzeit: Wenn Sozialdemokraten zuviel verraten
Eine schöne Überraschung gab es neulich im Preußischen Landtag – auf einer Sitzung des Arbeitnehmer-Arbeitskreises der SPD: AfA. Dieser Runde Tisch entpuppte sich als putzmuntere Betriebsräteinitiative, die ich schon lange tot wähnte. Zu Zeiten ihrer wachsenden Ausdehnung – von der Rostocker Seereederei bis nach Bischofferode – hatte Walter Momper zusammen mit dem Köpenicker Peter Wolff ein SPD- Pendant initiiert.
Diese zweite Runde war keine schlechte Ergänzung zur ersten selbstorganisierten, insofern Momper mit straffer Diskussionssführung dort Wirtschaftsverwaltung, Treuhand, Gewerkschaft und Betriebsvertreter zusammenbrachte. Nach Auflösung von Treuhand und Betriebsräteinitiative und Mompers Going- out als Immobilienentwicklung wurden die Reste der Runde in die AfA integriert, die bis dahin eher ein SPD-Schattendasein geführt hatte.
Auf zwei AfA-Sitzungen, die ich 1993 besucht hatte, diskutierte man zum Beispiel gelangweilt über Ladenschlußzeiten. Jetzt hat sich der Momper-Stil dort durchgesetzt: Es referieren dort aus der SPD und der Verwaltung mit Wirtschaftsproblemen der Stadt befaßte Leute, und dann schildern die anwesenden Betriebsräte den Stillstand der Dinge in ihren Betrieben. Einerseits geht es dabei noch immer um die Privatisierung, teilweise im zweiten Anlauf (nach einer Parkphase in einer Management KG etwa), andererseits wurden aus manchen Betriebsräten inzwischen Geschäftsführer von Beschäftigungsgesellschaften.
Mit „Umsatzproblemen“ und „Arbeitsplatzabbau“ haben beide zu kämpfen. Erwähnt seien die EKL (Elektrokohle Lichtenberg), der Berliner Werkzeugmaschinenbau, die Bäckerei Ostrowski, aber auch die „Maßnahmen“ auf dem Lacke-und- Farben-Gelände in Schöneweide. Über den fortschreitenden Arbeitsplatzabbau in ihren Restfirmen berichteten ferner die Betriebsräte von SEL und Elpro. Es gibt nur wenige Runde Tische in der Stadt, wo man in derart kurzer Zeit so komprimiert über konkrete Wirtschaftsprobleme Einblick bekommt.
Interessant war auch der Beitrag des Referenten aus der Senatsverwaltung für Wirtschaft, der unter anderem auf die neueste, pessimistische Situationsanalyse aus seinem Haus verwies. „Wenn selbst der optimistische Pieroth so etwas veröffentlichen läßt, dann ist es bereits 5 nach 12.“ Es gibt nur noch 135.000 industriell Beschäftigte in Berlin, Tendenz weiter sinkend.
Ebenso verhält es sich mit dem Bauvolumen und dem Einzelhandelsumsatz, einzig die Arbeitslosenzahlen steigen. Auch das, was man gegen diesen scheinbar unaufhaltsamen Niedergang der Berliner Wirtschaft von Senatsseite dagegen zu unternehmen versucht, war nach Meinung des Referenten nicht geeignet, Hoffnung zu säen: „Man setzt jetzt auf die Innovationscenter, aber das wird wohl auch nicht funktionieren.“ Schon unter Norbert Meisner habe man diese „Strategie“ verfolgt.
Selbst bei den weniger anspruchsvollen „Handwerkshöfen“, im Wilhelminenhofstraßen- Projekt der BLEG (Berliner Landesentwicklungs-Gesellschaft) etwa, finden sich kaum Mieter. Was einzig bleibe, sei das Feuerwehrspiel: sozusagen die Berliner Regionalvariante zu des Kanzlers Ludewigs Ost-Einsätzen. Dabei werde einzelnen Problembetrieben finanziell derart geholfen, daß man das schon gar nicht mehr erzählen dürfe, weil sonst die EU- Kommission der Stadt an die Gurgel ginge – wegen wettbewerbsverzerrender Subventionierung.
Zusammengefaßt: Wer sich ebenfalls von den Wirtschafts- und Politikseiten der Tagespresse verdummt vorkommt, sollte den nächsten AfA-Termin wahrnehmen. Am 14. Oktober findet um 17 Uhr erst einmal eine AfA-Veranstaltung im BVV-Saal Alt-Köpenick 21 statt – über den derzeitigen Sozialstaatsabbau, These: „Er kann die soziale Solidarität nicht mehr gewährleisten, denn er wird selbst zu einem Instrument der Spaltung.“ Zu den Referenten gehören u.a. Claus Koch und Peter Haupt. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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