: Wenn Richter irren, freut sich Berlusconi
Spektakuläre Urteilsrevisionen belasten die italienische Justiz – und auch die Schmiergeldermittlungen ■ Aus Rom Werner Raith
Zwei Nachrichten gibt es derzeit, erzählen sich die längst zynisch gewordenen Staatsanwälte der Mailänder Antikorruptionskommission „Mani pulite“ (Saubere Hände): eine gute und eine schlechte. Die gute: Die angeklagten Politiker haben es noch immer nicht geschafft, die Justiz so zu diskreditieren, daß der Glaube an Rechtsprechung verschwindet. Die schlechte Nachricht: Diese Diskreditierung besorgt die Justiz schon selbst.
Was die italienische Rechtsprechung derzeit kaputtmacht, ist eine Kette von Urteilsrevisionen aus ganz verschiedenen Zeiten. Darin wird, so scheint es, eine himmelschreiende Leichtfertigkeit bei Anklage und Verurteilung sichtbar – und das beeinflußt auch die aktuellen Schmiergeldermittlungen. Insbesondere drei Fälle aus ganz verschiedenen Epochen haben in den letzten Wochen spektakuläre Wendungen genommen: das Verfahren gegen das angebliche „Monster von Florenz“ etwa. Pietro Paccani, der dickliche, ältliche Bauer aus Mercatari in der Nähe von Florenz war in der ersten Instanz wegen siebenfachen Doppelmordes zu siebenmal lebenslänglich verurteilt worden: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft und des zuständigen Schwurgerichts war er das „Monster von Florenz“, ein Spanner, der Liebespärchen auflauerte und dann ermordete. Ein Indizienprozeß, der seinerzeit allerdings die meisten Beobachter überzeugt hatte, zumal der Mann schon in den 50er Jahren wegen Totschlags verurteilt worden war. Doch in der Revisionsverhandlung demontierte der Oberstaatsanwalt das gesamte Urteil – Pacciani wurde wegen erwiesener Unschuld freigesprochen.
Der Spruch kam just in dem Moment, wo sich andere Staatsanwälte, diesmal in der Region Campagna nahe Neapel, zur offiziellen Feststellung nicht nur eines Fehlurteils, sondern einer ausgewiesenen Rechtsbeugung durch Kollegen anschickten: Vor mehr als zehn Jahren war der Showmaster Enzo Tortora wegen angeblichen Drogenhandels festgenommen worden – jetzt müssen sich die Ermittler von damals rechtfertigen, denn die Festnahme beruhte einzig und alleine auf der Aussage des von Anfang an dubiosen „Kronzeugen“ aus der Unterwelt.
Ohne sich auch nur die geringste Mühe des Gegenchecks zu machen, so die Anschuldigung, seien die Staatsanwälte den Aussagen von „Gianni dem Schönen“ gefolgt. In erster Instanz wurde Tortora zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, in zweiter und dritter dann freigesprochen.
Allerdings erfolgte der Freispruch nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern nur, weil die Gerichte es nicht mehr als ausreichend empfanden, das Urteil nur auf einen „Kronzeugen“ zu stützen. Tortora starb kurz nach dem Urteil zweiter Instanz an Krebs.
Die Aussage habe eben gut gepaßt, sagt der „Zeuge“
Lange Zeit hatten die Ermittler an ihrer Schuldthese festgehalten, wenngleich sie den Fernsehmann nicht mehr anzutasten wagten. Doch nun hat der „Kronzeuge“ plötzlich öffentlich eingeräumt, seinerzeit gelogen zu haben: Seine Aussagen hätten einfach damals „gewissen Leuten“ gut ins Konzept gepaßt. Seitdem versuchen die Staatsanwälte herauszufinden, ob diese „gewissen Leute“ etwa ihre damaligen Kollegen waren, denen es seit Jahren an Erfolgen gegen die organisierte Kriminalität gemangelt hatte.
Der dritte Fall spielt zunächst in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Da war in Coreggio bei Reggio Emilia ein Priester erschossen worden. Als Täter wurden drei ehemalige Partisanen verurteilt, und zwar aufgrund einer vom damaligen Bischof von Reggio Emilia lancierten Zeugenaussage. Unter den Verurteilten war auch der seinerzeitige, damals 27 Jahre alte Bürgermeister des Ortes, Germano Nicolini, der trotz seiner starken Frömmigkeit den Namen „Diavolo“ trug. Obwohl die drei ihre Unschuld beteuerten, wurden sie zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt (und nach zehn Jahren entlassen). Zwei der drei wirklichen Täter hatten sich noch während des Verfahrens selbst angezeigt – sie wurden wegen falscher Eigenanschuldigung ebenfalls verurteilt. Erst als sich der dritte der wirklichen Mörder, William Gaiti (ebenfalls ehemaliger Partisan), Ende der 80er Jahre zum Geständnis bequemte, kam das Wiederaufnahmeverfahren in Gang; strafrechtlich wurde es 1994 abgeschlossen. Der letzte Akt war Mitte Februar die Feststellung des Schadenersatzes – umgerechnet 2,2 Millionen Mark erhält der nun 77jährige Nicolini. Seine beiden Mitverurteilten sind vor einem Jahr gestorben.
Die Justiz versagt als Hätschelkind der Nation
Daß die drei Fälle derzeit solches Aufsehen erregen, hängt vor allem mit der exponierten Stellung der Justiz seit dem Beginn der Schmiergeldermittlungen vor vier Jahren zusammen: Lange Zeit galt sie als einzige Institution, die im krisengeschüttelten Italien noch funktioniert. Nicht umsonst wurde ein Repräsentant der Rechtsprechung, der mailänder Antikorruptionsermittler Antonio Di Pietro, zum unumschränkten Volkshelden, den zeitweise mehr als 80 Prozent aller Italiener als Regierungschef sehen wollten.
Doch auch ohne die Demontagekampagne, die die von Di Pietro angeschuldigten Politiker und Manager gegen ihn führten – er trat im Dezember 1994 genervt zurück – mußten die Italiener nach und nach erkennen, daß sich ihre in die Justiz gesetzten Hoffnungen nicht erfüllten. Eine Heilung der maladen Wirtschaft und eine stabilere Politik brachten die Staatsanwälte auch nicht zustande.
Wie enttäuschte Liebhaber wenden sich viele Italiener von ihrer gehätschelten Institution Justiz ab – und das läßt natürlich die Aufmerksamkeit gegenüber deren Fehltritten wachsen. Da ist es dann ganz gleichgültig, wenn die Ankläger erster Instanz auf ihr meist gar nicht so schlecht gemauertes Anklagenfundament oder neue Erkenntnisse verweisen: Chefermittler Pierluigi Vigna aus Florenz etwa ist noch immer von der „Monstrosität“ Paccianis überzeugt und hatte dem Gericht sogar neue Augenzeugen angeboten. Und auch im Fall Tortora ist eine Wende eingetreten: jetzt behauptet „Gianni der Schöne“, sein Widerruf sei die Lüge, nicht die damalige Aussage: Man habe gedroht, seine Angehörigen zu ermorden, wenn er nicht widerrufe.
Nichts zu machen: Das Ansehen der Justiz ist, nach Glaubwürdigkeitsquoten von über 75 Prozent 1994, in Meinungsumfragen der letzten Wochen auf weit unter 40 Prozent abgesunken. Die Politiker und die Unternehmer, die unter die Räder der Justiz geraten waren, sind's zufrieden.
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