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Wenn Öcalan hängt, ist hier was los

Keine Woche ohne neue Enthüllungen zu den Vorfällen am israelischen Generalkonsulat und Mitte der Woche das Plädoyer der Rechtsanwälte im Öcalan-Prozeß: Die Berliner Kurden, Europas größte kurdische Gemeinschaft, gehen derzeit durch ein Wechselbad der Gefühle  ■   Von Philipp Gessler

„Gespannte Ruhe“ – mit diesen Worten beschreiben Kurdinnen und Kurden in Berlin derzeit die Stimmung in ihrer Gemeinschaft, die europaweit ihresgleichen sucht: Nirgendwo leben so viele Kurden wie in der Hauptstadt, ihre Zahl wird auf etwa 60.000 geschätzt. Es ist, so scheint es, ein Pulverfaß, das in den kommenden Wochen in die Luft gehen könnte.

Tatsache ist: Die Berliner Gruppe des staatenlosen und verfolgten Volkes aus dem Osten der Türkei geht derzeit durch ein Wechselbad der Gefühle, zweifach verunsichert, ja traumatisiert. Durch die Verhaftung des Führers der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, auf der einen Seite, durch die Schießerei am israelischen Generalkonsulat Mitte Februar auf der anderen Seite, als israelische Sicherheitsbeamte vier Kurden, drei Männer und eine Frau, erschossen.

Am Mittwoch werden voraussichtlich die Rechtsanwälte Öcalans im Prozeß gegen ihn ihr Plädoyer halten – wie gebannt schaut die kurdische Bevölkerungsgruppe Berlins auf den Prozeß. Wenn das Gericht ein Todesurteil über den Kurdenführer fällen sollte, prophezeit Alper Baba, Vorstandsmitglied in der Kurdischen Gemeinde der Hauptstadt, werden die Kurden in Berlin noch ruhig bleiben. Sollte aber das Todesurteil vom türkischen Parlament bestätigt und es gar vollstreckt werden, „dann ist was los“. Bisher habe man die Stimmung zwar noch „im Griff“, sagt Baba. Es liefen nur demokratische und angemeldete Aktionen in der Hauptstadt. Nun aber hänge alles von den Richtern Öcalans und vom Votum des türkischen Parlaments ab. Baba war einer der Berliner Sprecher der Kurden während der blutigen Februartage, als Kurden in ganz Europa auf die Straße gegangen waren, um gegen die Verhaftung Öcalans zu protestieren. Offenbar hat er Kontakte zur PKK-Führung – war im Februar aber auch immer um eine Beruhigung der Situation bemüht.

Es komme nun durch die Enthüllungen des Berliner Untersuchungsausschusses zu den Vorgängen am israelischen Generalkonsulat mehr und mehr heraus, daß seine Landsleute nicht mit Gewalt in die israelische Vertretung eindringen wollten, betont er. Viele Kurden der Hauptstadt seien „enttäuscht“, daß man erst jetzt beginne, ihre Version der Geschehnisse um die Todesschüsse zu glauben. Der nächste Schritt müsse nun sein, daß die deutsche Regierung darauf dränge, die israelischen Beamten vor Gericht zu bringen. Außerdem müßten die kurdischen Angeklagten in der Hauptstadt, denen unter anderem Landfriedensbruch vorgeworfen wird, freikommen. Ausweisungen, die Berliner Behörden gegen Kurden ausgesprochen haben, sollten zurückgenommen werden.

Schon der erste Prozeß gegen einen Kurden im Zusammenhang mit den Ereignissen am israelischen Generalkonsulat sei „peinlich“ gewesen – er war, vor allem wegen Formalien, in der vergangenen Woche zunächst geplatzt und wird voraussichtlich erst im Herbst erneut zur Verhandlung kommen. „Man kann nur darüber lachen“, meint Baba bitter. Solange die Israelis nicht vor Gericht stünden, blieben die Familien der inhaftierten Kurden „unruhig“.

„Das Theater muß ein Ende haben“, das sei, so Ismail Kosan, bündnisgrüner Abgeordneter im Abgeordnetenhaus, die vorherrschende Stimmung in der kurdischen Gemeinschaft der Hauptstadt zum Öcalan-Prozeß in der Türkei. Derzeit sei die Atmosphäre aber noch „gemäßigt“. Denn viele nähmen stark an, daß Öcalan – auch bei einem möglichen Todesurteil – nicht hingerichtet werde. Sollte es doch dazu kommen, gäbe es keine Möglichkeit mehr, mit den Türken zusammenzuleben, mahnt der bedächtige Landespolitiker düster. Dann wären vor allem unter den jungen Kurden Berlins „emotionale Reaktionen“, womöglich massive Proteste und Ausschreitungen, zu befürchten. Der Politiker kurdischer Abstammung, der stets betont, er interessiere sich nicht wegen seiner Herkunft, sondern „als Mensch“ für die ganze Angelegenheit, hat sich von Anfang an skeptisch darüber geäußert, daß der Ausschuß des Landesparlaments für die Kurden in Berlin etwas bringen könnte – seine Skepsis ist trotz der Enthüllungen der vergangenen Wochen nicht geringer geworden.

„Die Verbitterung ist sehr groß“, so bringt Giyasettin Sayan, sein Abgeordnetenkollege von der PDS, die Stimmung der Kurden in der Hauptstadt auf den Punkt. In der kurdischen Gemeinschaft herrsche der Eindruck vor, daß die israelische Version des Geschehens an ihrer Vertretung kaum mehr zu halten sei – erst jetzt verschiebe sich auch in der Öffentlichkeit der Akzent: daß die Kurdinnen und Kurden eher als die Opfer denn als die Täter gesehen werden.

Und zu Öcalan: Sayan geht davon aus, daß es tatsächlich ein Todesurteil für die PKK-Führer geben wird – und daß der Kurdenführer auch hingerichtet wird. Die türkische Regierung wolle sich offenbar „keinen Mandela schaffen“ und sich auch nicht ständig mit den Friedensvorschlägen Öcalans aus dem Gefängnis konfrontiert sehen. Wenn das Urteil vollstreckt werde, drohe aber eine „Eskalation“. Dann werde es auch nicht mehr möglich sein, in Europa allgemein, aber auch in Berlin für Ruhe zu sorgen. Schließlich habe die EU eine Mitverantwortung für das Geschehen, da sie die türkische Regierung über Jahre trotz ihres Vorgehens gegen die Kurden gestützt habe.

Vorerst Ruhe erwartet Kazim Baba, der Vorsitzende des Kurdischen Zentrums in der Dresdner Straße, innerhalb der Kurden in der Stadt – allerdings nur, solange ein mögliches Todesurteil nicht vollstreckt worden ist. Das Verfahren gegen Öcalan sei ein „politischer Prozeß“, in dem das Urteil schon feststehe. Derzeit werde in der kurdischen Gemeinschaft diskutiert, ob der Vorschlag Öcalans vor Gericht, in einer demokratischen Türkei mit den Türken in einem Staat zusammenzuleben, akzeptabel sei. Zwar wollten gerade die jüngeren Landsleute in der Hauptstadt angesichts des Prozesses „nicht immer ruhig bleiben“. Sein Zentrum aber versuche permanent, zur Beruhigung der Stimmung beizutragen.

Am prägnantesten schildert man schließlich im kurdischen Elternverein die Lage. „Verbitterung und Resignation“ sei die beherrschende Stimmung in der kurdischen Gemeinschaft, erklärt Siamend Hajo, im Elternverein verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit. Viele wollten nicht wahrhaben, daß Öcalan eine Hinrichtung drohe. Solange es aber nicht dazu komme, bleibe es ruhig – auch wegen der Direktiven der PKK-Führung, die in der Gemeinde über einen großen Einfluß verfüge und derzeit Ruhe angeordnet habe. Und auch daß es in Deutschland derzeit ruhig bleibe, habe nur einen Grund: Weil es die PKK-Führung zur Zeit so wolle.

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