: Wenn Noach in die Kissen heult
■ Der nach der Sintflut übrig gebliebende Noach erhebt in der gleichnamigen Oper schwerste Vorwürfe gegen Gott. Doch Sidney Corbetts Musik bleibt in der Uraufführung am Theater am Goetheplatz seltsam kraftlos.
Sieben Uraufführungen hat es in den bisher acht Intendantenjahren von Klaus Pierwoß gegeben, alles Auftragswerke. So lobenswert das ist, muss man doch sagen, dass er mit großer Zielsicherheit meist Komponisten ausgesucht hat, deren Stilnicht gerade unter einen wie auch immer gearteten Begriff des Neuen fällt. Gut, es muss auch solche Facetten geben, es gibt sie, und das Theater in Bremen ist eben Hochburg einer zeitgenössischen Kunst, die nicht weh tut. Genau das hat auch der Komponist der neuesten Uraufführung gesagt: Dass er neue Musik schreibe, die er selbst auch hören wolle, also „schöne“ Musik. Der in Deutschland lebende Amerikaner Sidney Corbett, Schüler von György Ligeti, schrieb als Auftragswerk des Bremer Theaters „Noach“ nach einem Libretto von Christoph Hein.
Das Sujet ist nicht theatralisch, sondern eine religiös-philosophische Debatte und damit nur vergleichbar Arnold Schönbergs „Moses und Aaron“: Gott läßt den 950 Jahre alten Noach nicht sterben, weil dieser auserwählt ist, das Menschengeschlecht neu zu gründen. Noach aber macht Gott ständige Vorwürfe, dass dieser auch noch nach der Sintflut weiterhin Katastrophen und Kriege über die Menschen gebracht habe. Dieser Dialog wird gemischt mit und überlagert von einem realen Geschehen: das Haus, in dem Noach wohnt, wird besetzt von Barbara und Stein. Die junge Barbara bleibt zum Ärger ihres Freundes bei dem alten Mann, versorgt ihn, hört ihm zu. Dann erscheint eine Art kapitalistischer Hausbesitzer, der das Haus endlich abreißen will.
Es ist Hein und Corbett gelungen, aus den Protagonisten profilierte Rollenporträts zu gestalten, die von den SängerInnen des Bremer Theaters in der Regie von Rosamund Gilmore bestens konturiert und vor allem gesungen werden.
Dazu verhilft auch das geschickte Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle, der für Noachs Rumpelzimmer eine bewegliche Plattform baute. Die SängerInnen Clemes C. Löschmann als Noach, ein gar nicht alter Mann, sondern ein kraftvoller Diskutierer, dem eindeutig die Krone des Abends zusteht. Jedes Wort versteht man in seinen großen und anspruchvollen tenoralen Gesangslinien. Katharina von Bülow als Barbara steht ihm kaum nach: sie bringt mit ihrer ungekünstelten Jugendlichkeit ein aufmöbelndes Element in das rein geistige Prinzip der Auseinandersetzung Noachs mit Gott bestimmt. Auch gesanglich ist deutlich geworden, dass die aus Lübeck stammende Mezzosopranistin ein großer Gewinn für das Bremer Theater ist. Zwei Säulen des Bremer Theaters, Karsten Küsters und Catherine Stone, spielen mit präzisen Konturen den aufgebrachten, ekelhaften Hausbesitzer und die bestechliche Stadträtin, Loren Lang den Stein und Inga Schlingensiepen die Prostituierte Tatjana.
Musik müsse sein wie ein Gebet, sagt Corbett. Das klangliche Ergebnis dieser Oper überzeugt nur zu Teilen. Corbett verlangt einen riesigen Orchesterappparat, aus dem völlig unökonomisch meist zarte Kammermusik, und ganz häufig auch Solomusik (Geige und Cello) klingt. Auch könnte man sich vorstellen, dass ein Komponist, der vom „Innenleben“ der Töne spricht, uns diese anders und origineller vermittelt als ganz traditionell über ein Orchester im Graben. Die Schnittstellen des Textbuches, das Ineinander von geistiger Auseinandersetzung und der lebhaften Handlung, finden in den meist leisen Tönen keine Entsprechung.
Die lineare, sehr melodische Musik bleibt seltsam kraftlos stehen, zieht nicht nach vorne: Da liegt das Problem, nicht im „Schönen“. Die ersten beiden Zwischenspiele verheißen in ihren rhythmischen Impulsen etwas Eigenständiges, was im weiteren Verlauf jedoch nicht eingehalten wird. Eine Idee, die sehr gut funktioniert,ist das Bekenntnis zum oratorienhaften in den himmlischen Chören und die Besetzung der Stimme Gottes durch ein Trio aus Kinderstimmen, hohem Sopran und Bass: Die sechsstimmige „Stimme aus dem Dornbusch“ aus Schönbergs „Moses und Aaron“ mag hier Pate gestanden haben. Die musikalische Leitung hatte Graham Jackson, unter dem das Orchester engagiert spielte. Klaus Pierwoß meinte, die Aufführung sei „ein großer Wurf“ gewesen, schränkte aber gleichzeitig ahnungsvoll ein, dass ihm jetzt Selbstüberschätzung vorgeworfen werden könnte: Mit dem Ersten hat er Unrecht, mit demZweiten Recht. Riesenbeifall für alle, nachdem einige türenknallend das Theater verlassen hatten, die wohl nicht einmal diese zarte Musik vertragen konnten.
Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Aufführungen: 21.10., 14., 16., 24. und 30.11. jeweils um 19.30 mit einer Einführung im Rangfoyer um 19 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen