: Wenn Frechdachse im Mondlicht balzen
■ Mario Vargas Llosa liest im Literaturhaus aus „Die Aufzeichnungen des Don Rigoberto“
Die fürchterlichsten Träume sind die, von denen man meint glücklich zu erwachen, doch in Wirklichkeit, gefangen in der Lähmung des Schlafes, verdammt bleibt, dem eigenen Alp offenen Auges als Zuschauer beizuwohnen.
Für Don Rigoberto liegen die Dinge anders. Statt sich im Schlaf von den eigenen Phantasien vergewaltigen zu lassen, erfindet er sich im Mondlicht die Wirklichkeit. Tagsüber eine vernachlässigungswürdige Existenz in einem Versicherungsbetrieb, erschlägt er in den stillen Nächten von Barranco diverse Kladdenhefte mit buchstäblicher Sinnlichkeit. So kann er seine Frau wieder haben, die er vor einiger Zeit wegen einer Affaire mit seinem eigenen Sohn aus dem Haus geworfen hatte. Und er kann sie andere haben lassen, sich unzählige sogenannte eheliche Fehltritte ausmalen, ohne Eifersucht empfinden zu müssen. Im Gegenteil: Ihre lüsterne Untreue törnt ihn an.
Die Aufzeichnungen des Don Rigoberto hat der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa raffiniert konstruiert durch die Reihung und das Ineinandergreifen der verschiedenen Erzählebenen: Eine „reale“, die von den unerwarteten Besuchen des verführerischen Stiefsohns bei der verstoßenen Stiefmutter berichtet; eine fiktionale, auf der Roberto dem Leser mittels seiner Hefte seine Version der Leidenschaft erzählt und eine essayistische, auf der anonyme Briefe über des Verfassers Ansichten von Sport, Feminismus, Wohltätigkeit und Naturschutz informieren.
Doch während das Spiel mit den Erzähltechniken den Leser verwirrt und fesselt, gelingt das ihrem Inhalt immer weniger. 470 Seiten feuchte Männerphantasien sind zuviel, wenn es keine Entwicklung gibt und jede neue erotische Phantasie eine alte ist. Da ist die schöne Frau mit dem Fremden, da ist die schöne Frau mit dem Ex-Geliebten, da ist die schöne Frau mit der Konsulgattin in der Sauna. „Ihr Körper mit den festen Brüsten und großzügigen Hüften, den wohlgeformten Hinterbacken und Oberschenkeln“wird alle 20 Seiten genau mit diesen Worten besungen, während Dona Lukrezia etwa 100 mal denkt, daß ihr Stiefsohn ein frühreifer „Frechdachs" ist.
Eingegossen sind die Lobpreisungen in viele Zitate schlauer Schriftsteller und unzählige Verweise auf verschiedene Gemälde, was durchaus die Bildung des Verfassers unterstreicht, den Erzählfluß allerdings wenig beflügelt.
Vargas Llosa, der zu den bedeutendsten lebenden Schriftstellern Lateinamerikas zählt, hatte 1963 mit dem Erscheinen seines ersten Romans Die Stadt und die Hunde wesentlich zum Durchbruch der erzählerischen Moderne in seiner Heimat beigetragen. Der promovierte Philologe, der sich 1990 als Präsidentschaftskanditat der Mitte-Rechts-Koalition FREDEMO in die Politik einmischen wollte und scheiterte, hat eine Reihe äußerst bedeutender Romane verfaßt. Das jüngste Werk des 62jährigen zählt nicht dazu; seine Lesungen daraus sollen nichts desto trotz sehr amüsant sein. Christane Kühl/Foto:PR
Mario Vargas Llosa: „Die Aufzeichnungen des Don Rigoberto“, übersetzt v. Elke Wehr, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, 470 Seiten, 49.80 Mark
Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38
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