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Wenig Ostdeutsche auf dem West-Strich

■ Beobachtungen in West-Berlin: Nur einige wenige DDR-Prostituierte verdienen jetzt hier ihr Geld

kaum war die Mauer offen, schwappte auch schon die Sexwelle rüber. Der Run der Ostler auf Sexläden und Peepshows, die ersten - noch illegalen - Videokopierereien und -theken in der DDR, die einschlägigen Kontaktanzeigen in einschlägigen Blättern, all das wurde begierig von aller Welt aufgegriffen und breitgetreten.

Es entstand der Eindruck, als seien die DDR-Bürger in Sachen Sex - vor allem des käuflichen - unersättlich. Und wenn mensch einer Umfrage im Auftrag des Revolverblatts 'Neue Revue‘ Glauben schenkt, steht auf der Sex-Wunschliste der meisten DDRler ganz oben die Freigabe der Pornographie, gefolgt von Striptease und Peepshows. Für die offizielle Wiederzulassung der Prostitution sollen sich, laut dieser Umfrage, jeder dritte Mann und jede vierte Frau ausgesprochen haben. Zur Gewerbefreiheit für „Freudenhäuser“, Peepshows und Sexshops äußerten sich von der CDU bis zum Neuen Forum bisher fast alle Parteien und Gruppierungen in der DDR wohlwollend. Entsprechende Anträge liegen bereits haufenweise vor. Aber Gerüchten zufolge rollt die Ware Sex nicht nur von West nach Ost. Angeblich sollen zahlreiche Ostlerinnen die neue Freiheit nutzen, um sich im Westen, auf dem Strich und in Bordellen, schnell ein paar Devisen zu verschaffen: zu Dumpingpreisen und ohne Gummi. Angeblich.

„Hier stehen keine Ost-Bräute mehr“, sagt Sissy, Profi -Stricherin auf der Westberliner Einemstraße. Sie arbeitet hier sechs Tage die Woche und weiß, wer anschafft. „Wenn wir eine aus dem Osten hier erwischen, dann ist die ganz schnell wieder weg, und wenn sie wiederkommt“, droht sie unmißverständlich, „kriegt sie eins auf die Fresse.“ Nach dem 9. November seien einzelne DDRlerinnen im Revier aufgetaucht. Sie seien in jedes Auto eingestiegen, hätten ohne Gummis gearbeitet, schon für fünfzehn Mark, ein Paar Strümpfe oder eine Jeans. Keine Profis, sondern Gelegenheitsnutten, die nach zwei oder drei Freiern aufhörten und dann tagelang verschwunden seien. „Das war für die kein Job, die brauchten harte Währung“, sagt Sissy. Und: „Wir haben uns das eine Weile angeschaut und sie dann zurückgepfiffen, denn die machten uns die Preise kaputt.“ Sie und ihre Kolleginnen arbeiten viel mit Stammkunden und haben „keine Lust, daß die Ost-Bräute uns die Freier verderben.“

Auch in den anderen Straßen des Schöneberger Kiezes stünden keine DDRlerinnen, behaupten die Prostituierten von der Einemstraße. Da es in West-Berlin aber keine Sperrbezirke gibt, können sich die Frauen überall aufstellen. Sie haben den Kiez unter sich aufgeteilt. Die Einemstraße ist nachts gut ausgeleuchtet, der Verkehr zügiger als in der Kurfürstenstraße. Hier arbeiten die „Professionellen“.

Nur vereinzelt DDR-Frauen

In der Kurfürsten-, Potsdamer- und Ecke Bülowstraße stehen die Drogenfrauen. Dort werden jetzt tagsüber häufiger Polinnen beobachtet. „Die sitzen bei ihren Männern in den geparkten Auto, und wenn ein Freier hält, steigen sie um und fahren mit dem Typen auf den nächsten Parkplatz.“ Bei der Westberliner Kripo bestätigt man, daß zunehmend Polinnen in Bordellen und ähnlichen Läden auftauchen. Vor allem die polnischen Männer hätten „Blut geleckt und gesehen, wie schnell sich in diesem Geschäft Geld verdienen läßt“, sagt der Kriminaler. Die Bordellbesitzer nähmen jetzt bevorzugt Polinnen, weil die Thailänderinnen einfach „teurer“ seien. „Da müssen erst einmal mindestens viertausend Mark investiert werden, um die Frauen hierherzukriegen. Die Polinnen dagegen kommen für Zweifuffzig von Warschau nach Berlin“, so der Beamte. Frauen aus der DDR habe man allerdings nur ganz vereinzelt angetroffen. Der von den Medien heraufbeschworene Boom der Ost-Prostituierten sei bisher durch nichts zu belegen.

„Fehlanzeige“, heißt es auch bei der „Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten“ im Wedding. Bei ihren Dienstgängen und Ausweiskontrollen in Bordellen und auf dem Straßenstrich sind die MitarbeiterInnen bisher kaum auf DDRlerinnen gestoßen.

In der Beratungsstelle Charlottenburg haben sich seit November 1989 ein paar Frauen aus der DDR untersuchen lassen. Allerdings weniger als ein Dutzend, meint die Ärztin, Frau Schwarze. In ein paar Salons des Bezirks seien inzwischen auch welche aufgetaucht, erzählt eine andere Mitarbeiterin aus Charlottenburg. Einige von ihnen hätten in der 'BZ‘ die Anzeigen gelesen und hätten dann vor der Tür gestanden. Doch die meisten Läden lehnten ab mit der Begründung, die Frauen von drüben seien mit den Arbeitsbedingungen nicht vertraut und müßten zu lange angelernt werden. Aber auch die Bewerberinnen zogen oft zurück, wenn sie vom niedrigen Verdienst - durchschnittlich dreißig DM pro Freier - erfuhren. „Die meisten, die wir angetroffen haben, haben vorher nicht als Prostituierte gearbeitet“, sagt die Sozialarbeiterin. Es seien meist Studentinnen, die sich etwas hinzuverdienen wollten.

Der Ansturm, mit dem die Beratungsstellen zu Anfang des Jahres rechneten, ist bisher also ausgeblieben. Aber auch ein Blick in den Anzeigenteil der 'BZ‘ zeigt: Mit DDRlerinnen wird gezielt kaum geworben. Die Frau vom Gesundheitsamt vermutet jedoch, daß sie im Kommen sind und zusammen mit den Polinnen in Zukunft immer mehr die Thailänderinnen in den Salons ablösen werden.

Wenig Ost-West-Kontakte

Die Westberliner Prosti-Gruppen haben bisher kaum Kontakt zu Ost-Frauen. Pieke Biermann von der Selbsthilfegruppe „Hydra“ zum schlechten Image der Ostlerinnen: „Es ist eine Frage der Aufklärung und nicht die Schuld der DDRlerinnen, wenn sie ohne Gummi arbeiten.“ Schließlich habe es drüben jahrelang keine vernünftigen Kondome gegeben, die Frauen seien es nicht gewohnt, welche zu benutzen. „Typischer Einsteigerinnenfehler“, kommentiert Regina Döll von der Gruppe „Nutten und Nüttchen“ das Problem mit den Gummis und den Billigpreisen. Sie ärgert sich, daß die Medien das Thema so breittreten, weil dadurch bei den Freiern der Eindruck entstünde, „Ost-Frauen sind billiger und williger“. Und sie verweist auf die Parallele zu den Thailänderinnen.

„Nutten und Nüttchen“ suchen seit geraumer Zeit Kontakt zu Prostis von drüben. Ziel: Erfahrungsaustausch über gesetzliche Grundlagen und Arbeitsbedingungen für Prostituierte, Zuhälterei, sexuell übertragbare Krankheiten. Besonders in Sachen Gesundheitsvorsorge vermutet Regina Döll in der DDR „fehlendes Bewußtsein und erheblichen Aufklärungsbedarf“. So hat sie sich zum Beispiel die Statistischen Jahrbücher der BRD und der DDR von 1988 vorgeknöpft und festgestellt, daß allein der Tripper in der DDR zehnmal häufiger verbreitet ist als in der BRD.

In einer Gemeinschaftsaktion mit dem Westberliner „Hetären -Gesprächskreis“ luden „Nutten und Nüttchen“ Mitte März zum ersten Ost-West-Prosti-Treffen nach West-Berlin. Allein von drüben kam keine einzige Hure - dafür aber etliches Medienvolk. Ein Kontakt, den die West-Prostis aber auch nicht schmähen. Wollen sie doch vor allem an die DDR-Medien verstärkt herantreten, um dort ein Klima zu schaffen, das Prostituierten eher erlaubt, „zu ihrem Job zu stehen“.

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