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Wenig Brot und viele Spiele für die Massen

betr.: „Im Netz der Ausreden“ von Barbara Dribbusch,

taz vom 19. 10. 99

„Die Reichen verdienen immer mehr, weil sie immer mehr besitzen: Die soziale Kluft wächst.“ Dieser Aussage von Dribbusch stimme ich vorbehaltlos zu. „Moralisch ist eine Vermögensabgabe heute mehr gerecht als je zuvor.“ Stimmt auch, aber ... der Kapitalismus ist keine Frage der Moral, sondern ein Wirtschaftssystem. Soziale Ungerechtigkeiten sind systemimmanent und strukturell bedingt, diesen Umstand haben wir nur lange Zeit auf unseren Wohlstandsinseln verdrängen dürfen. [...]

Wir haben vergessen, dass der Großteil aller gesetzlichen und ökonomischen Maßnahmen von Wirtschaft und Politik einzig und allein der Sicherung von Privateigentum und Kapital dient und diente. Der Politik, die sich in diesem System bewegen will und muss, sind – wenn es um Umverteilung geht – die Hände gebunden. Zwar kann sie per Steuer Vermögenszuwächse reduzieren, aber Vermögen nicht grundsätzlich antasten. Ausnahmen, wie bei Erbschaften, sind in der Regel enge Grenzen gesetzt. Die Schere wird sich also immer weiter auftun. Sich dessen bewusst?, haben nun einige Grüne die Idee von privaten Stiftungen à la Amerika ins Spiel gebracht. Dieser Gedanke – Reiche stiften freiwillig ihr Vermögen – so verlockend er auch sein mag – ist eine endgültige, wenn auch „logische“ Bankrotterklärung der Politik. Nicht mehr innerhalb der Gesellschaft soll nun entschieden werden, für welche gesellschaftlichen Projekte Geld fließen soll, sondern ein paar reiche Mäzene dürfen dies jetzt tun. Endlich! Der Geldadel könnte mit Sportarenen, Kunsthallen, Museen das Land überschwemmen und Arbeitsstätten für KunsthistorikerInnen und SportkommentatorInnen schaffen. Wenig Brot und viele Spiele für die Massen.

Das kapitalistische System kennt nur eine legitime, systemimmanente Art der „Umverteilung“, die Kapitalvernichtung durch Betriebsstillegung, Börsencrash, Bankrott etc. Jede andere Art der Umverteilung von oben nach unten würde den Keim eines neuen Systems in sich tragen. Und dass es uns in den Metropolen so gut ging und geht, verdanken wir einzig und allein der ungeheuren Produktivität dieses Systems und der Externalisierung der Kosten (Umwelt, Ausbeutung der Peripherie) und nicht der Moral von Politikern und Unternehmern. Winfried Thies, Marburg

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