Das Portrait: Weltoffener Wunschkandidat
■ Andreas Nachama
Erst einen Tag im Amt, und schon hatte Andreas Nachama, der neue Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, ein großes Problem am Hals. Während er im Gemeindehaus seine Einstandspressekonferenz gab, kündigte der Berliner Senat dem Direktor des Jüdischen Museums, Amnon Barzel. Ohne den neuen Vorstand vorab zu informieren. Formell braucht der Senat dies auch nicht zu tun, dennoch ist diese Kündigung ein Affront. Andreas Nachama wird in eine Kraftprobe mit dem Senat gedrängt, in der er – weil das Museum keine Gemeindeangelegenheit ist – nur verlieren kann. Kein guter Anfang für eine Zusammenarbeit.
Der Konflikt widerspricht dem verbindlichen, immer um Ausgleich bemühten Naturell von Andreas Nachama. Der 45jährige ist mit Sicherheit der freundlichste Gemeindevorsitzende, den es je in der Stadt gab. Er bringt alle Voraussetzungen mit, die innerjüdischen Differenzen zu überwinden, das Gemeindemanagement zu professionalisieren und der Jüdischen Gemeinde intellektuelles Gewicht zu geben. Intern ist sein Ansehen groß, er wurde seit Monaten als „Wunschkandidat“ gehandelt.
Jeder kennt „Andii“, den Sohn des beliebten Kantors Estrongo Nachama. Andreas Nachama ist mitten in der Jüdischen Gemeinde Berlin aufgewachsen, als Kind schaukelte ihn Heinz Galinski auf dem Schoß. Und Nachama lebt jüdisch, auch keine Selbstverständlichkeit. Jeden Sonnabend sieht man ihn mit seiner Frau, einer Israeli, und seinen Söhnen, einer 13, der andere 18, in die Synagoge gehen. Eine seiner Aufgaben wird es sein, einen liberalen Rabbiner zu finden, den die Gemeinde schon lange vermißt.
Nachama studierte an der Freien Universität Berlin und in England Geschichte und Judaistik. Vier Jahre lang war er als Religionslehrer tätig. 1981 promovierte er über „Ersatzbürger und Staatsbildung im 17. Jahrhundert“. Später war er zwölf Jahre lang bei den Berliner Festspielen und machte sich mit der großen Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ einen Namen. Seit 1992 organisiert er die Jüdischen Kulturtage, eine Veranstaltungsreihe, mit der sich auch der Berliner Senat gern schmückte. 1994 übernahm er die Leitung der „Stiftung Topographie des Terrors“. Es wird schwer für den weltoffenen Nachama und seine Familie werden, ab sofort unter Polizeischutz zu leben. Anita Kugler
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