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Archiv-Artikel

Weltmeisterliches Sabbern in der Soers

Holland ist Weltmeister – und Deutschland jubelt trotzdem: Anky van Grunsven aus den Niederlanden holt auf dem zwölfjährigen Salinero vor der Weltrekordkulisse von 45.000 Pferdeenthusiasten Gold in der Aachener Nacht-Dressur

AACHEN taz ■ So eine Reit-WM von 14 Tagen Dauer hat eigene strukturelle Probleme. Es gibt ganze sieben Disziplinen. Und weil nicht nur Hengste, Wallache und Stuten gemeinschaftlich antreten, sondern auch Männer und Frauen (Ausnahme: Voltigieren, das Varieté-Turnen auf Pferderücken), gibt es nur 16 Mal WM-Medaillen. Darum muss die Mammut-Veranstaltung durch weitere Zusatzevents („Preis der Vereinigten Unternehmerverbände“, „Rolex World Champion“) aufgepeppt werden – zur Freude der Sponsoren.

Bei der Dressur wurden neben der Teamwertung (seit 32 Jahren Aboweltmeister Deutschland) sogar zwei Einzelweltmeistertitel ausgeritten, den im „Grand Prix Special“ und in der „Grand Prix Kür“ mit Musik. Den Spezial gewann am Freitag Isabell Werth, die insgesamt zwei Mal Gold und ein Mal Bronze holte. Am späten Samstagabend triumphierte Anky van Grunsven auf Salinero, 12, mit 86,100 Prozentpunkten, ein Wert, wie er fast noch nie erreicht wurde. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Andreas Helgstrand aus Dänemark mit Matine und der Rheinbergerin Werth mit Satchmo.

Die 45.000 im überfüllten Hauptstadion der Aachener Soers bedeuteten Weltrekord. Nie zuvor waren so viele Menschen zusammen gekommen, um sich dem Zauber von Dressurpferden hinzugeben. Und sie taten dies auf auffällige Weise. Stecknadelschweigen während der Ritte, Jubelorkane immer nach dem Schlussakkord.

Die pferdeverrückten Aachener taten das auch nach dem Ritt der Holländerin van Grunsven, einer Performance aus Schweben und hüpfenden Bewegungen, als hätte ihr Pferd Salinero, 12, kleine Trampoline unter den Hufen. Da gab es sogar eine besonders laute Jubelexplosion. Wo sonst werden in Deutschland Sportler aus den Niederlanden enthusiastisch umjubelt?

Reiten ist die Lobpreisung einer harmonischen heilen Welt in einer schwierigen, unübersichtlichen. Die bedächtige Dressur mit ihren kerzengerade dasitzenden Aktiven in Frack und Zylinder zu gefälligen Melodien aus dem Gestern ist die heilste. In den Wettkampf-Pausen gab es Hengstparaden und eine schmissige Bundeswehr-Blaskapelle, zünftig beklatscht. Nur als Nadine Capellmann, die Lokalmatadorin und Titelverteidigerin 2002, mit ihrem Elvis erneut leer ausging (Holzklasse, Platz 4) gab es vereinzelt Pfiffe. Ein unwürdiges Geräusch für diesen Abend harmonischer Glückseligkeit – aber Beweis, dass auch der grundfaire Pferdefreund momentweise zürnen kann.

Neben allen formvollendet getanzten Piaffen, den eleganten Passagen und Traversalritten auf den 1.200 Quadratmetern Sand spielt bei den Wertungsrichtern auch die Erscheinung des Pferdes eine Rolle. An Helgstrands Ross monierten Fachleute, dass es zu unruhig mit dem umherwedelnden Schweif gewesen sei. Der Schweif des holländischen Goldpferds Salinero stand meist kerzengerade. Wohl aber sabberte der schwarze Wallach das Zaumzeug so unästhetisch voll, als hätte Frank Rijkaard hunderte Rudi Völlers vor sich. Glück für Salinero: Die oralen Verunreigungen gehen nicht in die Wertung ein. BERND MÜLLENDER