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Weltkleinste Kapelle

■ Ein schön-filigraner Scherbenhaufen gereicht zur Ehre Gottes auf Guernsey

Ein schöner Scherbenhaufen auf der britischen Kanalinsel Guernsey ist jährlich Ziel zahlloser Urlauber. Zehntausende von Porzellanstücken, Steinchen und Muscheln zieren dort die kleinste Kirche der Welt, in der nicht einmal eine Fußballmannschaft Platz findet. Ein handwerkliches Meisterstück, mehr Kitsch als Kunst.

Anfang des Jahrhunderts hatten sich mitten auf der Insel Mönche aus Frankreich angesiedelt, Mitglieder des bildungsbeflissenen La- Salle-Ordens. Wegen der Schönheit des kleinen Tals nannten sie ihre Ordenssiedlung „Les Vauxbelets“. Einer von ihnen war Bruder Deolat Antoine, der nach dem Vorbild von Lourdes eine Grotte errichtete und eine Kapelle, die er aber gleich nach der Fertigstellung wieder abriß. Bald darauf stellt er seinen Brüdern ein neues Gotteshaus in Miniformat vor: mit einem Turm über dem Altar, wo sich die Katzen auf der Jagd nach Vögeln gern auf die Lauer legten. Doch als der Bischof von Portsmouth in der kleinen Kapelle eine Messe lesen wollte, blieb der schwergewichtige Kirchenmann im Portal stecken – zum Ärger des Bauherrn, der sein Prunkstück erneut zerstörte.

Zwei Jahre später hatte er die nächste Kirche fertig, doppelt so groß wie die alte. Für ihren Schmuck aber fehlte dem Mönch das Geld. Muscheln und Scherben wurden zur Notlösung. Hilfreich war ein Reporter des Massenblatts Daily Mirror, der in einer Reportage das „unbekannte kleine Juwel“ vorstellte und alle Leser aufforderte, altes Porzellan zu spenden. Schon wenige Tage später kamen die ersten mit ihren Scherben in „Les Vauxbelets“ an.

Heute zeigt sich die kleine Kapelle innen wie außen als ein Meisterstück filigraner Puzzlearbeit. Und wenn den Menschen auf Guernsey beim Abwasch mal wieder eine Tasse aus den Händen fällt, trösten sie sich wie früher: „Wieder eine für Les Vauxbelets!“ Günter Schenk

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