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Welt im Musterkoffer

■ Das Buch zum Bremer Förderpreis: „Der Zimmerspringbrunnen“, eine deutsche Vertretergeschichte

Da mühen sich Schwergewichte wie Günter Grass jahrelang ab. Trachten nach dem endgültigen, allesumfassenden Roman zur Lage der Deutschen in Ost und West. Gebären unter Schmerzen Schwarten, scheitern grandios. Und jetzt dieses Büchlein: „Der Zimmerspringbrunnen“. Niedlicher, koketter ging es wirklich nicht. Und viel treffender auch nicht: In Jens Sparschuhs Roman sind die Befindlichkeiten der Deutschen in der Wenderepublik kurz und knapp und witzig auf den Punkt gebracht. Sparschuh, aufgewachsen in der DDR, derzeit in Berlin lebend, erhält für sein Kleinod heute den Bremer Förderpreis für Literatur, dotiert mit 10.000 Mark.

„Ein Heimatroman“, heißt es gravitätisch auf dem Umschlag. Doch die große Geste liegt Sparschuh fern. Sein Erzähler, ein abgewickelter Verwaltungswilli namens Hinrich Lobek, ist kein Mann großer Worte oder Taten. Lobek liebt die Ordnung und das Laubsägen; die neue Unübersichtlichkeit der Wendezeit ist ihm suspekt. Entsprechend distanziert erzählt er folglich von den Menschen, die ihm bei seinem plötzlichen Aufstieg zum Vertreter (Ost) für Zimmerspringbrunnen begegnen.

Das linkische Taktieren der Besserwessis, die Sentimentalität der betrogenen Ossis – Lobek notiert die deutschen Gemütsregungen kalten Bluts. Wozu auch eine Wertung, wenn die Fakten schon den ganzen, wunderbaren Wahnsinn preisgeben. In all seinen grausigen Details zeichnet Lobek z.B. den Grusel einer Gesamtvertreterkonferenz auf, die schwitzenden Knechte, die aufgeblasenen Karrieristen, die ganze Versammlung von Windbeuteln. Wie sie „Standardsituationen“ im Umgang mit dem potentiellen Kunden üben. Wie sie einander Schinkenschnittchen wegschnappen, wie sie von der „Mauer in unseren Köpfen“ schwadronieren und mit dem Bleistift Beifall klopfen auf ihren Tischplatten.

Lobeks buchhalterischer Blick gilt aber auch den Mauerblümchen rings um den Prenzlauer Berg. Deren Sehnsucht nach den guten, alten Tagen Lobek schließlich den Erfolg beschert: Sein Springbrunnenmodell „Atlantis“, samt eingebautem Mini-Fernsehturm, trifft den Nerv der Altgenossen; als Symbol des abgesoffenen SED-Staates plätschert Lobeks Brünnlein fortan in allen Stuben. Dem Trieb zur Selbstverkitschung sind eben auch nach Osten keine Grenzen gesetzt.

Ein auf Applaus bedachter Autor hätte all die schönen Details so richtig hämisch ausgewalzt und ausgemalt. Sparschuh macht das Gegenteil. Er unterschneidet seine Schmetterbälle ständig – und gewinnt damit. Wenn die Absurditäten des Alltags so ernsthaft, so trocken angegangen werden, erscheinen sie doppelt absurd. „Ihre WALDEINSAMKEIT hatte einen elektrischen Wackelkontakt“, vermerkt Lobek einmal beim Vertreterbesuch bei einer einsamen Dame, deren Brunnenmodell defekt ist. Große Gleichnisse kann sich der Autor da ersparen: Der ganze Musterkoffer des deutschen Vertreterwesens ist ja schon voll mit den traurigsten Wahrheiten über dieses Volk. Thomas Wolff

Jens Sparschuh: „Der Zimmerspringbrunnen“, 160 S., Kiepenheuer & Witsch, 29,80 Mark

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