: Weizsäcker gerügt
■ Bundespräsident versichert, er habe nicht Kohl kritisiert
Bonn (dpa) — Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist dem Eindruck entgegengetreten, er habe mit seinem kritischen Interview zur Rolle des Parteienstaates und zur Vereinigungspolitik den Bundeskanzler gemeint. Der Bundespräsident habe in dem Gespräch „keine spezielle Kritik gegenüber der Bundesregierung geäußert“, sagte gestern sein Sprecher Henning Horstmann. Diesen Eindruck habe auch Helmut Kohl. In der Umgebung Kohls hieß es dazu, der Kanzler behalte sich eine Reaktion vor.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) und der stellvertretende CDU/CSU- Fraktionschef im Bundestag, Heiner Geißler, nahmen Weizsäcker vor Kritik in Schutz. „Natürlich darf er so etwas sagen, denn der Bundespräsident ist kein politisches Neutrum“, sagte Rau. Nach Ansicht Geißlers kann Weizsäckers Kritik eine nützliche Diskussion über die Rolle der Parteien auslösen.
Heftige Reaktionen lösten die Weizsäcker-Äußerungen bei Politikern der CSU aus. Der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Kurt Faltlhauser (CSU), und der Parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, Rudolf Kraus (CSU), meinten, Weizsäcker stünden solche Äußerungen nicht zu. Entsprechend äußerte sich auch der ehemalige Bundestagspräsident Rainer Barzel (CDU) in einem 'Handelsblatt‘-Interview. Mit den Worten, es sei „an der Zeit, daß sich der Bundespräsident ein Amt sucht, wo er in Ruhe weiter über Staat und Partei philosophieren kann“, reagierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer in einem Interview der 'Berliner Tageszeitung‘.
Weizsäcker hatte in dem Interview Versäumnisse der „politischen Führung“ bei der Vereinigungspolitik kritisiert. Die Menschen seien nicht rechtzeitig über das Ausmaß der erforderlichen finanziellen Leistungen für den Aufbau im Osten informiert worden. Scharf wandte sich der Bundespräsident gegen den Einfluß der Parteien, denen er „Machtversessenheit“ und einen verfassungsrechtlich bedenklichen Einfluß vorwarf.
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