: „Wein ist ein Geschäft“
Spätestens seit die Amerikaner Wein wie Coca-Cola produzieren, müssen auch Europas Winzer Farbe bekennen, findet Reiner Wittkowski
Interview RALF PIERAU und TILL EHRLICH
Professor Dr. Reiner Wittkowski, 51, ist Präsident der zwischenstaatlichen Organisation für Rebe und Wein (OIV). Im Hauptberuf ist der Lebensmittelchemiker Vizepräsident des Bundesinstituts für Risikobewertung. Die OIV mit 40 Mitglieds- und neun Beobachterstaaten hat ihren Sitz in Paris. Sie bezieht Stellung zu wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Fragen des Weins. Sie soll im internationalen Rahmen harmonisieren und dabei die Verbraucherinteressen berücksichtigen.
taz.mag: Herr Wittkowski, wir haben gehört, Wein kann man auch aus Trauben machen.
Reiner Wittkowski: Das ist wohl wahr und daran hält man sich glücklicherweise auch. Ihre Frage zielt offensichtlich darauf ab, dass man Wein heute mit sehr vielen technischen Hilfestellungen besser oder anders machen kann.
Mit Hilfestellungen?
Man kann etwa mit Enzymen arbeiten, die Aromen verstärken. Es gibt diverse Schönungs- und Klärungsverfahren, um Weine besser und stabiler zu machen. Diese Verfahren sind in der EU gesetzlich zugelassen. Schwierigkeiten gibt es erst, wenn Verfahren eingesetzt werden, etwa außerhalb der EU, die praktisch mit der Weindefinition und damit auch der Verbrauchererwartung nicht mehr übereinstimmen.
Welche sind das?
Wenn Sie beispielsweise Aromastoffe in den Wein geben. Eine Sache, die nicht verboten ist. Das Produkt darf dann aber nicht als Wein verkauft werden.
Was ist es dann?
Ein aromatisierter Wein. Auch wenn Sie Wasser in den Wein geben, ist das nicht grundsätzlich verboten. Sie haben dann ein Produkt, das man in Deutschland als Schorle bezeichnet.
Aromatisierter Wein und Schorle. Wo ist das Problem?
Wenn die Produkte korrekt bezeichnet sind, gibt es keins. Probleme entstehen erst, wenn einem Wein etwa Wasser zugesetzt wird und das Produkt unter der Bezeichnung Wein vermarktet wird. Ein ganz anderes Problem ist zum Beispiel ein Verfahren, bei dem die Produzenten einen fertigen Wein zerlegen oder fraktionieren, wie man es nennt. Sie teilen ihn in eine Aromafraktion, eine Wasserfraktion und eine Alkoholfraktion.
Was bedeutet das?
Sie können dann jede dieser Fraktionen gezielt modifizieren. Es besteht die Möglichkeit, den Wein zu entsäuern oder den Alkohol zu reduzieren. Hinterher kann alles wieder, in welcher Konstellation auch immer, zusammengemischt werden. Dann haben Sie einen neuen Wein. Die Frage ist, ob das noch mit unserer Vorstellung von Wein übereinstimmt. Vor allem, wenn man sich vorstellt, dass diese Fraktionen auch einzeln frei gehandelt werden könnten.
In Europa, der „alten Weinwelt“, war das Panschen bisher immer ein Tabu.
Das sollte es auch unbedingt bleiben. Doch zunächst zur Korrektur: Ein Wasserzusatz in Form einer Nassverbesserung war früher auch in Deutschland erlaubt. Er ist es aber heute nicht mehr.
In Europa heißt es Panschen, in Amerika Innovation. Weine werden nach Marketingkonzepten designt.
Ja, man untersucht in der „neuen Weinwelt“ erst sehr genau, was der Verbraucher gern trinkt. Man versucht dann, die Weine genau so zu machen, um die Verbraucherpräferenz zu bedienen und richtig Geld zu verdienen. Wine is a business. Ob das Panschen ist oder nicht, ist eine Frage der Definition.
In Europa will man den „Fingerabdruck“ des Winzers und den Einfluss der Natur spüren.
Ja, so weit die Theorie. Es ist aber nicht so, dass der Wein, wie er aus der Flasche kommt, so aus der Natur kommt. Wein ist ein verarbeitetes Produkt. Er wächst ja so nicht im Weinberg. Die Rebstöcke sind gepfropft, gepflanzt und erzogen worden, mit Pflanzenschutzmittel behandelt. Sie quetschen die Trauben, maischen sie ein, erhitzen die Maische gegebenenfalls, Sie filtrieren den Most, Sie schönen ihn, schwefeln ihn. Es gibt eine Menge Eingriffe. Der technologische Fortschritt ist schon lange da.
Kann man den Unterschied zum Winzerwein denn noch schmecken?
Das denke ich nicht. Wenn überhaupt, können das nur sehr wenige Experten.
Das ist eine Entwicklung des Weines hin zum Industriewein.
Diese Entwicklung ist längst eingetreten. Es hat immer Innovationen gegeben. Das hängt mit den Erfordernissen des Marktes und technologischen Entwicklungen zusammen. Man kann ja nicht behaupten, dass die Weine schlechter geworden sind.
Welche Interessen stehen dahinter, dass ein Wein heute so billig wie möglich sein muss?
Die Dinge sind nicht so einfach gegeneinander abzuwägen. Viele Verbraucher suchen eine gewisse Wiedererkennung. Dahinter steckt der Markengedanke. Bei einer Marke weiß man, wie sie schmeckt, was einen erwartet. Der Markengedanke basiert ja darauf, dass eine Geschmackskonformität, auch über mehrere Jahrgänge hinaus, existiert. Das ist eben nicht immer so, wenn man Wein kauft. Bedenken Sie auch, dass man jahrzehntelang vermittelt hat, dass Wein etwas ganz Besonderes ist und dass, wer nichts davon versteht, lieber die Finger davon lassen sollte.
Und von diesem Elitegedanken will man weg.
Richtig. Diesen Fehler will man korrigieren. Man will ja dieses Produkt vermarkten. Das ist nicht ehrenrührig.
Das Ziel ist also der legal gepanschte Wein im Barolo-Style für 99 Cent?
Nein, das glaube ich nicht. Weil man sich den Markt für die gehobene Qualität natürlich auch nicht kaputtmachen will. Und aus einem minderwertigen Produkt kann man kein wirklich hochwertiges machen. Nehmen Sie nur die Mostkonzentration: Wenn Sie Mist konzentrieren, haben Sie hinterher auch konzentrierten Mist, auf keinen Fall aber einen besseren Wein.
Wie geht es nun weiter?
Der Markt wird sich aufteilen. Es wird den Konsumwein geben, der dem Markenkonzept entspricht und den es letztlich auch schon gibt. Ob man den nun Industriewein, Marken- oder Typenwein nennt. Und es wird eine Gegenbewegung geben. Viele sind wieder auf der Suche nach Authentizität im Wein. Immer mehr Winzer stellen sich die Frage, ob sie hierzulande einen Wein produzieren sollen, der wie ein chilenischer schmeckt.
Letztlich trifft die Entscheidung der mündige Verbraucher.
Genau. Der Verbraucher kann aber nur dann wirklich wählen und entscheiden, wenn er die entsprechende Information bekommt und die Unterschiede kennt. Sie können ja dem Verbraucher durchaus kommunizieren, dass der kalifornische Wein aus dem Discount mit Umkehrosmose und Holzchips gemacht worden sein kann, Verfahren also, die nicht notwendig in der EU zugelassen sein müssen. Das tut aber niemand. Auch die Konkurrenten nicht.
Warum nicht?
Weil nach wie vor jeder seinen Wein als Naturprodukt vermarkten will.
Und mit dieser Vorstellung haben die High-Tech-Weine, die zerlegt, aromatisiert und gewässert werden, herzlich wenig zu tun.
Richtig. Dieser Trend wird sich verstärken, vor allem vor dem Hintergrund des Weinhandelsabkommens der EU mit den USA, wie es im September paraphiert worden ist. Ich habe schon vor zehn Jahren behauptet, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem die Traditionalisten von der Kennzeichnung neuer Verfahren auf dem Etikett profitieren werden – und nicht die neue Weinwelt. Dazumal hat man mir immer gesagt: Nein, wir wollen nichts auf dem Etikett. Bloß nicht, das schädigt das Image des Weines.
Die Schere zwischen dem, was es ist, und wie es vermarktet wird, wird heute offensichtlich.
Ja, dieses Bild stimmt schon längst nicht mehr. Wenn Sie sich heute einen modernen, normalen Weinbetrieb anschauen, finden Sie vieles von dem, was man in einem Traditionsbetrieb erwarten würde, gar nicht mehr. Da finden Sie Edelstahl, das sieht größtenteils aus wie in einer modernen Molkerei.
Es existiert also schon jetzt ein völlig falsches Image vom Wein.
Es wäre schwer zu beziffern, ob und wie falsch es ist. Offensichtlich fürchtet sich die Branche auch davor. Über kurz oder lang jedoch kommen die Amerikaner und bieten womöglich ein völlig designtes Produkt an, das wie Coca-Cola gemacht ist. Spätestens dann müssen auch unsere Winzer sagen, wie sie ihr Produkt herstellen. Da tut sich die Schere zwischen Image und Wirklichkeit, unter Umständen in schmerzlicher Weise, auf.
Eigentlich ist es eine Imagedebatte?
Ja. Und die wird in Europa viel schwieriger zu führen sein als in den USA. Dort produziert man eben nur ein Getränk wie jedes andere auch.
RALF PIERAU, 39, und TILL EHRLICH, 40, leben als freie Autoren in Berlin